Die Dunklen Wasser Des Todes: Roman
sie, Konstantinos davon zu berichten, all ihre Schuld vor ihm auszubreiten und geläutert zu werden, ganz gleich, welche Buße dazu nötig war. Aber wenn sie den von ihr verübten Betrug gestand, würde jede Aussicht dahinschwinden, Ioustinianos helfen zu können. Für ein solches Vergehen gab es keine durch Gesetze festgelegte Strafe, doch auf jeden Fall würde sie hart ausfallen – niemand ließ sich gern zum Narren halten.
Ein Klopfen an der Tür unterbrach ihre Gedanken. Ein junger Priester kam herein. Sein Gesicht war bleich, und es kostete ihn sichtlich Mühe, sich zu beherrschen.
»Was habt Ihr?«, fragte Konstantinos. »Seid Ihr krank? Anastasios ist Arzt.« Er wies zu Anna hinüber.
Der Priester wehrte mit einer Handbewegung ab. »Nein, mir geht es gut, und kein Arzt kann heilen, was uns allen droht. Unsere Gesandten sind aus Lyon zurück. Es war eine
vollständige Kapitulation! Sie haben alles aufgegeben: die Möglichkeit, an den Papst zu appellieren, die filioque -Klausel, alles.« In seinen Augen standen Tränen.
Konstantinos sah ihn an. Sein Gesicht war vor Entsetzen kalkweiß geworden. Nach und nach kehrte das Blut in die Adern zurück. »Feiglinge«, stieß er zwischen den Zähnen hervor. »Was haben sie als Lohn dafür mitgebracht – dreißig Silberlinge?«
»Die Zusage, dass uns das Kreuzfahrerheer unbehelligt lässt, wenn es auf seinem Weg nach Jerusalem hier vorüberkommt«, sagte der Priester mit zitternder Stimme.
Anna erfasste, dass das mehr wert war, als dieser junge Priester zu begreifen vermochte. Voll Schaudern dachte sie an Zoe Chrysaphes und das Entsetzen, das sie noch siebzig Jahre nach den Ereignissen erschüttert hatte, als sie spürte, wie die Flammen ihre Haut verbrannten.
Konstantinos sah sie aufmerksam an. »Kleingläubige Menschen!«, stieß er verächtlich hervor. » Wisst Ihr, was geschah, als wir bei der Belagerung durch die Barbaren unseren Glauben an die Heilige Jungfrau nicht aufgaben, ihr Bild stets in unserem Herzen trugen und vor Augen hatten? Wisst Ihr das?«
»Ja.« Annas Vater hatte ihr die Geschichte oft mit schmerzlichem Lächeln und wehmütigem Blick erzählt.
Konstantinos stand wartend mit ausgebreiteten Armen da. Seine hellen Gewänder leuchteten förmlich. Er wirkte riesig und einschüchternd.
»Ihre Streitmacht stand vor der Stadt«, sagte Anna. »Sie war der unseren an Zahl weit überlegen. Ihr Anführer, ein riesiger, schwerer Mann, der einem wilden Tier glich, ritt auf seinem Pferd herbei. Unser Kaiser schritt ihm entgegen, die Ikone der Jungfrau Maria in den Händen. In diesem
Augenblick fiel der Anführer der Barbaren tot vom Pferd, und seine Krieger flohen. Nicht einer unserer Männer wurde verwundet und kein Stein der Stadt zerstört.« Der Gedanke an einen so vollkommenen Glauben erregte sie immer noch im tiefsten Inneren, und eine tröstliche Wärme erfüllte sie. Sie wusste nicht, ob das Jahr oder die Einzelheiten stimmten, aber sie war davon überzeugt, dass sich alles so verhielt.
»Ihr wisst es«, sagte der Bischof triumphierend. »Auch als uns im Jahre 626 die Awaren belagerten, haben wir die Ikone der Heiligen Jungfrau auf den Mauern um die Stadt getragen, und die Belagerung wurde aufgehoben.« Mit leuchtendem Gesicht wandte er sich dem Priester zu. » Warum also haben sich die Abgesandten unseres Kaisers so verhalten, der sich selbst als ›auf einer Stufe mit den Aposteln stehend‹ bezeichnet? Wie kann er mit dem Teufel schachern und ihm gar nachgeben? Wenn wir diesmal unterliegen, geht das nicht auf die Barbaren zurück, sondern auf unsere eigene Schwäche und Unsicherheit.«
Er schlang die Hände ineinander. »Besiegen werden uns weder die Horden des Grafen von Anjou noch die verlogenen Kleingeister Roms, wohl aber der Verrat durch unseren eigenen Herrscher, der vom Glauben an Christus und die Heilige Jungfrau abgefallen ist.« Er wandte sich zu Anna um. »Das versteht Ihr doch, nicht wahr?«
Sie erkannte in seinen Augen eine verzweifelte Einsamkeit. »Der Kaiser spricht nicht für das Volk«, sagte er in einem Ton, der kaum lauter war als ein Flüstern. »Nur unser Glaube macht uns stark; wir könnten das Volk dazu bringen, auf Gott zu vertrauen.«
Mit bewegter Stimme fuhr er fort: »Steht mir bei, Anastasios. Seid stark. Helft mir, den Glauben zu bewahren,
den wir tausend Jahre hindurch gehegt und gepflegt haben.«
Die Leidenschaften tobten in ihr: Glaube stand gegen Schuld, die Liebe zum Schönen gegen den Abscheu vor der
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