Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die dunklen Wasser von Aberdeen: Roman (German Edition)

Die dunklen Wasser von Aberdeen: Roman (German Edition)

Titel: Die dunklen Wasser von Aberdeen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stuart MacBride
Vom Netzwerk:
ein eingegipster Arm hing bis auf das Linoleum herab, an den blassen Fingerspitzen glitzerten halb geronnene Blutstropfen. Der Kopfverband war um die Augen und den Mund herum leuchtend rot verfärbt, die Brustbandagen derart mit Blut getränkt, dass sie fast schwarz aussahen.
    »Wo ist denn bitte schön der Constable abgeblieben, der auf ihn aufpassen sollte?« Insch war in Gewitterlaune.
    Ein verlegen dreinschauender Polizist hob die Hand und erklärte, dass es in der Notaufnahme Ärger gegeben habe. Dort sei es zu Handgreiflichkeiten zwischen zwei Betrunkenen und einem Türsteher gekommen, worauf er von den Schwestern gerufen worden war, um die Streithähne zu trennen.
    Insch verzog das Gesicht und zählte bis zehn. »Ich nehme an, der Tod ist bereits festgestellt worden?«, fragte er, als er damit fertig war.
    Eine Polizistin antwortete, dass dies noch nicht geschehen sei, was dem Inspector eine neue Lawine von Flüchen entlockte.
    »Ist das hier nun ein Krankenhaus oder nicht? Hier wimmelt’s doch nur so von Ärzten! Los, holen Sie mir einen von den faulen Säcken her, damit er ihn offiziell für tot erklärt!«
    Während sie warteten, untersuchten Insch und Logan die Leiche so gründlich, wie es ihnen nur möglich war, ohne sie zu berühren.
    »Erstochen«, stellte Insch fest, nachdem er die kleinen rechteckigen Einstichstellen in den Bandagen aus der Nähe inspiziert hatte. »Was meinen Sie – war es ein Messer?«
    »Irgendetwas mit abgeflachter Klinge. Ein Schraubenzieher vielleicht? Oder ein Stilett? Eine Schere?«
    Insch ging in die Hocke und sah nach, ob das Messer nicht vielleicht unter dem Bett lag. Doch er fand nur noch mehr Blut.
    Während der Inspector nach der Tatwaffe suchte, nahm Logan die Leiche gründlich in Augenschein. Die Stichwunden waren alle identisch – nicht länger als fünfzehn Millimeter und rund zwei Millimeter breit, alle auf die linke Rumpfhälfte konzentriert. Der Täter musste im Blutrausch gehandelt haben; das zeigte die Art und Weise, wie er das Opfer regelrecht durchlöchert hatte. Logan schloss die Augen und versuchte sich die Szene vorzustellen: Roadkill bewusstlos auf dem Bett liegend, der Täter auf der linken, der Tür abgewandten Seite des Bettes stehend. Und dann hatte er zugestochen, in rascher Folge, immer und immer wieder.
    Logan schlug die Augen wieder auf und trat ein paar Schritte zurück. Ihm war leicht übel. Alles war voller Blut. Nicht nur die Leiche und das Bett, auch die Wand dahinter. Als er den Kopf in den Nacken legte, konnte er sogar kleine Spritzer an der mattweißen Decke erkennen. Wer immer das getan hatte, musste danach ausgesehen haben wie ein Wesen aus einem Horrorfilm. Ein Anblick, den man so schnell nicht wieder vergessen würde.
    Das war keine willkürliche Gewaltorgie gewesen. Und es war auch nicht das Werk eines selbstgerechten Lynchmobs. Es war ein Racheakt.
    »Was hat das zu bedeuten? Wieso hat man mich hergeholt?«
    Die Stimme klang gestresst und gereizt, und sie gehörte zu einer gut gebauten Ärztin in einem weißen Kittel mit einem Stethoskop um den Hals.
    Logan hob entschuldigend die Hände und trat von der Leiche zurück. »Sie müssen bitte den Tod feststellen, damit wir die Leiche abtransportieren können.«
    Sie warf ihm einen finsteren Blick zu. »Natürlich ist er tot, was denn sonst? Sehen Sie das hier?« Sie deutete auf ihr Namensschild. »Da steht ›Doktor‹. Das bedeutet, dass ich eine Leiche erkenne, wenn ich eine sehe!«
    Inspector Insch, der auf der anderen Seite des Bettes stand, zückte seinen Dienstausweis. »Sehen Sie das hier?«, fragte er und hielt ihn der Frau unter die Nase. »Da steht ›Detective Inspector‹, und das bedeutet, dass ich von Ihnen erwarte, dass Sie sich wie ein erwachsener Mensch benehmen und Ihre privaten Probleme nicht an meinen Beamten auslassen. Verstanden?«
    Sie funkelte ihn wütend an, sagte aber nichts. Dann wurde ihre Miene ein wenig sanfter. »Entschuldigen Sie«, sagte sie schließlich. »Ich habe einen langen, beschissenen Tag hinter mir.«
    Insch nickte. »Ich weiß, wie Sie sich fühlen, falls das irgendein Trost ist.« Er trat zurück und deutete auf Roadkills durchlöcherten Körper. »Möchten Sie vielleicht eine Vermutung zum Todeszeitpunkt abgeben?«
    »Kein Problem: Irgendwann zwischen Viertel vor neun und Viertel nach zehn.«
    Insch war beeindruckt. »Kommt nicht allzu oft vor, dass wir schon nach einer halben Stunde eine Schätzung des Todeszeitpunkts bekommen.«
    Jetzt

Weitere Kostenlose Bücher