Die dunklen Wasser von Aberdeen: Roman (German Edition)
Logan folgte Insch auf den Flur, während Cameron unter den wachsamen Augen des schweigsamen Constables zurückblieb.
Insch hatte das Gesicht in Zornesfalten gelegt und starrte Logan mit grimmig heruntergezogenen Mundwinkeln an. »Warum hat mir niemand gesagt, dass wir im Mund des Mädchens Sperma gefunden haben?«, fragte er, wobei seine Stimme gefährlich neutral blieb.
»Weil es nicht stimmt.« Logan lächelte. »Aber das weiß er nicht.«
»Sie sind ja ein ganz linker Hund, DS McRae«, sagte Insch. Die Falten glätteten sich, und ein väterlich stolzes Lächeln erhellte seine Züge. »Haben Sie sein Gesicht gesehen, als Sie es ihm sagten? Hat ausgesehen, als hätte er sich gerade in die Hose geschissen.«
Logan wollte das Thema gerade vertiefen, als eine Polizistin mit sorgenvoller Miene den Flur entlanggetrabt kam und ihnen von Roadkill erzählte. Ein Arzt aus dem Krankenhaus hatte den Polizeinotruf gewählt. Irgendjemand hatte Roadkill endgültig von seinen Leiden erlöst.
Insch fluchte und fuhr sich mit einer gewaltigen Pranke übers Gesicht. »Er sollte doch eigentlich in Schutzhaft sein! Und trotzdem schafft er es irgendwie, sich krankenhausreif prügeln und anschließend auch noch umbringen zu lassen.« Der Inspector lehnte sich kraftlos gegen die Wand. »Geben Sie uns noch fünf Minuten«, beschied er der Polizistin, ehe er wieder im Vernehmungsraum verschwand.
Cameron Andersons Kopf schnellte hoch, als sie eintraten. Sein Blick war gehetzt und ängstlich. Insch starrte auf ihn hinunter, als wäre er ein hässlicher Fleck auf dem Teppich. »Diese Vernehmung ist offiziell bis morgen früh neun Uhr unterbrochen«, sagte er. »Der Constable hier wird Sie nach unten zu den Arrestzellen begleiten.« Insch lehnte sich schwer auf den Tisch, die fleischigen Fäuste auf die Knöchel gestützt, sein Gesicht so nahe an dem Camerons, dass er die panische Angst im Schweiß des jungen Mannes riechen konnte. »Und Sie sollten sich am besten schon mal daran gewöhnen, in einer Zelle zu schlafen«, sagte er zu dem zitternden Häufchen Elend, das ihn mit weit aufgerissenen Augen anstarrte. »Denn das wird für die nächsten zwanzig Jahre Ihr Zuhause sein!«
Sie fuhren mit DI Inschs vor Dreck starrendem Range Rover, dessen Scheiben der Spaniel des Inspectors mit seiner feuchten Schnauze schon völlig versaut hatte. Insch steuerte den Wagen durch die von Schneewällen gesäumten Straßen von Rosemount.
Logan blickte derweil missmutig aus dem Fenster und sah die einförmigen Reihenhäuser aus Granit vorüberziehen. In Gedanken war er teils bei Roadkill, teils bei Constable Jackie Watson und dem verkrampften Gespräch, das er mit ihr geführt hatte, als sie zusammen eben diese Straße entlanggefahren waren.
Als Insch auf dem Weg zum Krankenhaus um die Kurve bog, klickte plötzlich etwas in Logans Hinterkopf. Er starrte die Häuser auf seiner Straßenseite an. Ein hell erleuchtetes Plastik-Rentier mit neonblinkender roter Nase löste eine Erinnerung aus. Hier waren sie auf Peter Lumleys Stiefvater gestoßen, der immer noch auf der Suche nach seinem toten Kind durch die Straßen irrte. Obwohl er wusste, dass sein Stiefsohn tot war …
»Sie gucken ja wie ein Auto«, meinte Insch, während er den Blinker setzte, um in die Westburn Road abzubiegen. »Was haben Sie denn?«
Logan zuckte mit den Achseln. Er sah den Unglücklichen noch vor sich, wie er mit gesenktem Kopf durch den Schnee stapfte, die Beine seines Overalls klatschnass und vom Schneematsch verdreckt. »Ich weiß nicht recht … hat vielleicht gar nichts zu bedeuten.«
Im Krankenhaus war es viel zu heiß. Alle Heizkörper waren voll aufgedreht, um gegen die winterliche Kälte anzukämpfen, und das ganze Gebäude war von einem subtropischen, antiseptischen Mief erfüllt. In dem Zimmer, das sich Bernard Duncan Philips alias Roadkill mit einem Mitpatienten geteilt hatte, war es nicht anders, und zudem war es auch noch hoffnungslos überfüllt. Die Spurensicherer, der Fotograf, DI Insch und Logan wuselten in identischen weißen Overalls umher wie Mitwirkende einer avantgardistischen Tanztruppe.
Das andere Bett war leer. Eine der Krankenschwestern, eine Frau von Ende vierzig, hatte Logan mit Tränen in den Augen erzählt, dass Roadkills Bettnachbar am Nachmittag an Leberversagen gestorben war.
Während die Blitzlampe des Fotografen sirrte und klackte, konnte Logan sich Roadkills übel zugerichteten Körper in aller Ruhe ansehen. Er lag ausgestreckt auf dem Bett;
Weitere Kostenlose Bücher