Die dunklen Wasser von Aberdeen: Roman (German Edition)
nach dem rettenden Einfall. »Ich … Ich war vorhin nicht ganz ehrlich zu Ihnen«, sagte er schließlich, nachdem er die Fassung wiedererlangt hatte.
»Jetzt bin ich aber schockiert.«
Cameron ignorierte den Sarkasmus. »Ich wollte den Ruf meines Bruders schützen.«
Insch lächelte. »Seinen Ruf? Als was denn – als mieses, gewalttätiges Arschloch vielleicht?«
Cameron fuhr unbeirrt fort. »Vor vierzehn Tagen stand Geordie plötzlich bei mir vor der Tür. Er sagte, er habe geschäftlich in der Stadt zu tun und brauche einen Platz zum Übernachten. Er hatte ein kleines Mädchen dabei und sagte, sie sei das Kind seiner Freundin. Er passe auf die Kleine auf, während sie auf Ibiza Urlaub mache. Ich wusste nicht, dass da irgendetwas faul war, aber an dem Abend, bevor Geordie getötet wurde, kam ich nach Hause, und da lag er mit dem kleinen Mädchen splitternackt im Bett. Es kam zum Streit, ich wollte ihn aus der Wohnung werfen. Ich sagte, ich würde die Polizei rufen.« Cameron sah auf seine Hände hinunter, als könne er die Geschichte von ihnen ablesen. »Aber in diesem Moment stand plötzlich der alte Mann vor der Tür. Er sagte, er hätte eine Nachricht für Geordie. Ich habe ihn reingelassen und dann nach dem kleinen Mädchen gesehen. Ich wollte mich vergewissern, dass Geordie ihr nicht wehgetan hatte … Und dann höre ich plötzlich aus dem Wohnzimmer einen Riesenkrach, ich renne hin und sehe Geordie zusammengekrümmt am Boden liegen. Und der Alte tritt ihn und prügelt auf ihn ein, und Geordie schreit, und ich versuche, ihn daran zu hindern, aber der alte Mann ist wie ein wildes Tier! Und dann … dann kommt plötzlich das kleine Mädchen aus dem Schlafzimmer rein und hängt sich an den alten Mann. Er …« Camerons Stimme stockte. »Er hat sie weggestoßen, und sie ist gegen den Kamin gefallen. Ich bin hingegangen und wollte ihr helfen, wollte sie aufheben, aber sie war schon tot. Dann ist der alte Mann über mich hergefallen.« Er schüttelte sich. »Er … er hatte ein Messer. Er wollte, dass ich sie zerlege. Er sagte, wenn ich es nicht täte, würde er mich in Stücke hacken … Aber ich konnte es nicht. Ich hab’s versucht, aber ich konnte es nicht.« Cameron ließ den Kopf hängen. Dann erzählte er, wie Dougie erneut auf ihn eingeprügelt habe. Wie er ihm befohlen habe, die Leiche des kleinen Mädchens mit Paketklebeband zu umwickeln und sie in einen Müllsack zu stecken. Nur hatte er leider gerade keinen da. Aber am nächsten Tag sollte die Müllabfuhr kommen, und im zweiten Stock stand ein fast leerer Müllsack vor der Wohnung von Norman Chalmers. Anderson nahm ihn, steckte die Leiche hinein und trug sie hinunter zu der Gemeinschaftstonne vor dem Haus. Es war schon sehr spät, es war dunkel, und niemand war in der Nähe. Er warf den Sack mit der Mädchenleiche in die Tonne und bedeckte ihn mit anderen Müllsäcken. Und dann sagte ihm der alte Mann, er sei jetzt ein Mittäter, und wenn er irgendjemandem etwas von der Sache erzählte, würde die Polizei ihn einsperren.
»Faszinierend«, meinte Insch trocken.
»Und dann drohte er, wenn ich auch nur einem Menschen erzählte, was passiert war, würde er mich umbringen. Und das war das letzte Mal, dass ich ihn gesehen habe, und das gilt auch für meinen Bruder und das Mädchen.«
Nachdem Cameron geendet hatte, saßen sie einander schweigend gegenüber; nur das Surren des Kassettenrekorders störte die Stille.
»Wenn Sie Geordies Bruder sind«, sagte Logan schließlich, »wie kommt es dann, dass Sie verschiedene Nachnamen haben?«
Cameron rutschte unruhig auf seinem Stuhl hin und her. »Verschiedene Mütter. Er stammt aus der ersten Ehe meines Vaters. Sie haben sich scheiden lassen, und Geordie bekam den Mädchennamen meiner Mutter, Stephenson. Dad hat dann wieder geheiratet, und sechs Jahre später kam ich auf die Welt.«
Wieder trat Schweigen ein. Logan brach es als Erster. »Was würden Sie sagen, wenn ich Ihnen verraten würde, dass wir im Mund des Mädchens Sperma gefunden haben?«
Cameron erbleichte.
»Um wie viel wollen wir wetten, dass die DNS mit der übereinstimmt, die wir Ihnen abgenommen haben? Wie wollen Sie das Desperate Doug anhängen?«
Cameron schien ebenso perplex wie DI Insch. Er saß da auf der anderen Seite des Tisches und klappte den Mund auf und zu wie ein verendender Fisch. Schweigen.
»Sergeant«, sagte Insch schließlich, »könnten wir uns bitte mal kurz draußen unterhalten?«
Sie unterbrachen die Vernehmung, und
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