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Die dunklen Wasser von Arcachon

Die dunklen Wasser von Arcachon

Titel: Die dunklen Wasser von Arcachon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Tanner
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über den steinigen Fahrweg in seine Hütte zurück, wo er die Tür scheppernd zuwarf, sodass der Schäferhund, vom krachenden Schlag in den sensiblen Ohren getroffen, laut aufjaulte.
    Kirchner ging zurück zu seinem Wagen und fuhr davon.
    Er hatte, dessen war er sich sicher, gerade den Mörder Lacombes gesehen. Dass Barrier gleichzeitig nur Werkzeug war, war ebenso offenkundig. Jemand hatte ihn angeheuert – unter welchen Versprechungen und für welche Bezahlung auch immer –, und der Auftraggeber konnte sich auch den Hass zunutze machen, der in diesem Barrier auf alles Zivile, Städtische, irgendwie »Pariserische« am Werk war.
    Trotzdem blieb die Geschichte verworren. Warum hatten sie Lacombes Leiche nicht einfach irgendwo entsorgt? Warum mussten sie die Geschichte mit dem Fischernetz erfinden, die sowieso keinen Bestand haben würde, wenn erst das Loch in Lacombes Kopf entdeckt war? Wozu der Aufwand, den Guillaume und Nadine und der junge Decayeux getrieben hatten, um ihm eine falsche Rachegeschichte aufzutischen? Kirchner stand vor einem Rätsel.
    Er überlegte kurz, ob er wegen Barrier die Polizei verständigen müsste, aber er verwarf den Gedanken, schob ihn auf. Sobald er seine Geschichte beisammenhätte, konnte er die Staatsmacht immer noch verständigen. Und dann würde er auch nicht zur Polizei gehen, sondern einen Staatsanwalt in Paris anrufen, mit dem er seit Längerem befreundet war und dem er vertraute.
***
    Kirchner trieb sich eine Weile bei den Kanälen von Gujan-Mestras herum, schaute den Vögeln zu und ein paar Austernzüchtern, die schwer beladen aus dem Becken zurückkehrten.
    Es ging schon auf zehn Uhr, und er lenkte den Landrover zum Rathaus. Dort fand, wie er aus der Lokalzeitung wusste, eine Bürgersprechstunde zum Thema Nautilus statt, die Mairie hatte geöffnet, obwohl Samstag war, und Kirchner war sich sicher, auch dem alten Decayeux dort zu begegnen. Die Situation kam ihm zupass: Umgeben von Bürgern würde der Alte nicht einfach gegen ihn lospoltern können, er würde Kreide fressen müssen, es war, aus Kirchners Sicht, ein geschickt geplanter Überfall.
    Vor dem Rathaus herrschte schon so viel Betrieb, dass er lange nach einem Parkplatz suchen musste.
    Es waren Marktbuden aufgestellt, Kunsthandwerker zeigten ihre Arbeiten, eine Hüpfburg für Kinder war aufgebaut. Eine fahrbare Hühnerbraterei stand im Zentrum des Marktes und heizte ihre Grills für die Mittagszeit, die Betreiber hatten außer Hühnern auch ganze Spanferkel und Lammkeulen auf Spieße gezogen, es roch schon nach Knoblauch und verbranntem Thymian. Austernzüchter verkauften wie Marktschreier ihre Ware, sie hatten Plastikkörbe auf Tapeziertischen vor sich, darin die Austern nach Größe und Art sortiert. Die Festbesucher aßen ein halbes oder ganzes Dutzend Creuses oder Spéciales zum zweiten Frühstück, mit Brot und Leberpastete, wie das in der Gegend hier üblich war.
    Kirchner ging herum wie ein Tourist, aß ein halbes Dutzend grün-blau schimmernder Austern der Größe drei, die sich in Holzkisten mit der schönen Aufschrift La Fête Océane stapelten, ignorierte die Leberpastete, genehmigte sich aber ein kleines Glas Weißwein. Mit den Augen suchte er Decayeux.
    Er fand ihn am Stand eines Winzers, der Weine aus Pauillac verkaufte, erstklassige Bordeaux’. Der leutselige Vizebürgermeister war ins Gespräch mit dem Budenbetreiber vertieft, er legte den Kopf schief, um Aufmerksamkeit zu heucheln, er nickte bedeutungsvoll. Den Hochzeitsfrack hatte er abgelegt und gegen eine sandfarbene Windjacke eingetauscht, aus der man Zeltbahnen hätte schneiden können. Er gab den volksnahen Lokalhelden mit offenem Hemdkragen und praktischen Schuhen, der dem Volk bereitwillig seine beiden großen Ohren lieh.
    Kirchner näherte sich dem Weinstand, und Decayeux entdeckte ihn sofort, aus den Augenwinkeln. Er war ein soziales Tier, nichts entging ihm auf seinem eigenen, heimischen Terrain. Kirchner erkannte es an einer kleinen, schnellen Kopfbewegung Decayeux’, sein Nacken versteifte sich, außerdem verlor er sichtbar und schlagartig das Interesse an dem Gespräch mit dem Winzer. Er nickte dem Mann in der Schürze jetzt nur noch mechanisch zu und machte Anstalten, sich bald wegzudrehen.
    Kirchner ging noch ein paar Schritte näher heran, worauf Decayeux sein Gespräch mit einem eiligen Händeschütteln abbrach.
    Dann wandte er sich zu ihm, baute sich vor ihm auf und fauchte leise: »Mit Ihnen, Monsieur, hätte ich nicht mehr

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