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Die dunklen Wasser von Arcachon

Die dunklen Wasser von Arcachon

Titel: Die dunklen Wasser von Arcachon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Tanner
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»Könnte es sein, dass andere Sie, wie soll ich sagen, dass andere Sie rächen wollten? Ihr Bruder? Oder Nadine?«
    »Hören Sie, Monsieur, ich glaube, Sie sind auf dem falschen Dampfer. Wenn hier ein Verbrechen stattgefunden hat, dann wurde es nicht aus Liebe oder Leidenschaft verübt.«
    »Ach nein?«
    »Nein«, sagte Evelyne. »Julien hatte Feinde, und es wurden immer mehr, seit er sich von Arcachon abgewandt hatte.«
    »Er hat sich von Arcachon abgewandt?«, fragte Kirchner.
    »Es gibt in diesem Saal zwei Menschen, die ich wirklich verabscheue. Sie kennen sie beide, es sind Decayeux und Fleurice. Die beiden sind nur hier, weil sie selbst darauf bestanden haben und weil Jean-Marie, mein Mann, auf Etikette hält und in ihnen noch immer wichtige Geschäftspartner sieht. Aber wenn ich jemanden kenne, der für Arcachon, und das heißt heutzutage ja nur noch für Nautilus , über Leichen gehen würde, dann sind es diese beiden, vor allem Decayeux.«
    Kirchner stand an die Brüstung der Veranda gelehnt. Die Zeit lief, bald würde jemand die Braut suchen, und das Gespräch würde beendet sein.
    Er hatte Evelyne falsch eingeschätzt. Sie war klüger, als er gedacht hatte, nicht nur schlau wie die anderen hier, sie klang wie jemand, der Verstand besaß.
    »Aber warum würde er über die Leiche von Lacombe gehen?«, fragte Kirchner.
    »Julien wollte Nautilus beerdigen«, sagte Evelyne, »er hatte plötzlich Bedenken bekommen, wegen allem Möglichen. Das fing schon an, als wir noch zusammen waren. Es ging ihm mit einem Mal um die Umwelt, um die Tradition, wissen Sie, er war nicht in allem ein schlechter Mensch. Ihm gefiel auch Decayeux’ brutaler Charakter nicht, und für den geht es bei Nautilus um alles. Falls die Präfektur alles absegnet, wird er ein reicher, mächtiger Mann sein. Julien stand ihm im Weg, und nicht nur ihm. Das Geschäft mit Nautilus ist jetzt schon groß.«
    »Und Sie meinen, deshalb musste er sterben?«
    »Sie wissen besser als ich, Monsieur«, sagte Evelyne, »dass es um Millionen, wenn nicht Milliarden geht. Ich denke, es sind schon Menschen für weniger Geld gestorben.«
    Kirchner machte ein entwaffnetes Gesicht und konnte ein Lachen nicht unterdrücken. Die junge Frau beschämte ihn. Sie wiederholte seine eigenen Gedanken, er hatte sie wirklich unterschätzt. Sie war eine Märchenfigur, eine Friseurin, in der eine Prinzessin steckte, my fair lady .
    »Und Ihr Creuzet ist anders als die anderen?«, fragte Kirchner.
    »Für mich hängt alles an der Nacht in Le Canon, die Politik interessiert mich nicht. Jean-Marie ist in die Sache damals genauso hineingeraten wie ich. Lacombe, Decayeux, Fleurice und der Präfekt hatten den Abend mit dem ›Damenbesuch‹ ausgeheckt, sie hatten die Idee zu dieser Party, alle anderen Anwesenden wurden einfach überrollt. Kurz nachdem mich Guillaume abgeholt hatte, ist auch Jean-Marie gegangen – und übrigens auch die meisten anderen. Er war genauso entsetzt wie ich.«
    »Was wird seine Rolle bei Nautilus sein?«
    »Fragen Sie ihn selbst danach, ich will von Politik nichts wissen.«
    Kirchner glaubte ihr, er vertraute seinem Gefühl. Er strich in Gedanken den Namen Creuzet von der Liste derer, die in seiner Geschichte als Übeltäter auftreten würden, jedenfalls fürs Erste. Er hatte nichts gegen ihn in der Hand. Evelynes Darstellung war so plausibel wie jede andere. Es standen Aussagen gegen Aussagen, das war zu wenig, um die Karriere eines Politikers mit schnellen Strichen zu beenden.
    Im Speisesaal drinnen brandete jetzt Applaus auf, es wurde nach der Braut gerufen, seine Zeit mit Evelyne Creuzet, geborene Dufaut, war um.
    »Wohin gehen denn die Flitterwochen?«, fragte Kirchner, um das Gespräch zu beenden.
    Evelyne wandte sich zum Gehen und nahm ihre Röcke wieder auf. »Es ist keine gute Zeit für Ferien«, sagte sie. »Mein Mann hat viel zu tun in Paris. Aber wir werden eine Woche nach Venedig fliegen.«
    »Schön. Venedig. Gehen Sie essen ins Met , unbedingt, und grüßen Sie den Koch von mir, Signore Fasolato. Ich wünsche Ihnen Glück.«
    »War’s das?«
    »Das war’s.«
    Sie nickten sich zu. Evelynes Augen leuchteten noch einmal auf, und sie ging zurück in den Saal, wo sie mit Applaus begrüßt wurde wie eine verlorene, schöne Tochter.

X.
    A m nächsten Tag, Samstag, stand Kirchner um sechs Uhr früh auf einer der Molen in Gujan-Mestras. Im Kanal dort stand brackiges Wasser, rostige Austernbarken schaukelten darauf, flache Boote, die eigens für die

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