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Die Durchschnittsfalle (German Edition)

Die Durchschnittsfalle (German Edition)

Titel: Die Durchschnittsfalle (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Hengstschläger
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dunkle Birkenspanner), von der man heute glauben könnte, sie wäre von Nachteil, morgen schon einen großen Vorteil haben kann. Dieses Postulat der so großen Bedeutung der Individualität gilt aber auch für die Gegenwart. Gemeint ist, dass zur selben Zeit eine Variante, die unter bestimmten Umweltbedingungen (an einer Stelle der Erde) eher von Nachteil ist, an einer anderen Stelle unter anderen Umweltbedingungen von großem Vorteil sein kann.
    Es gibt neben den oben erwähnten TSC-Genen noch mehrere tausend andere Gene des Menschen, die eine Rolle bei Erkrankungen spielen. Eines davon ist das Hämoglobin-Gen. Mutationen in diesem Gen führen zur Sichelzellenanämie. Das ist eine variable Multiorganerkrankung, die in schwerer Form zu starken geistigen und körperlichen Entwicklungsverzögerungen führt. Im Gegensatz zur Tuberösen Sklerose, bei der eine Mutation in einem der beiden TSC-Gene ausreicht (dominant), dass das Krankheitsbild auftritt, folgt die Sichelzellenanämie einem rezessiven Erbgang. Das Tragen nur einer Mutation in einem der beiden Hämoglobin-Gene führt zumeist wenn überhaupt nur zu einer sehr leichten Form. Das typische klinische Bild tritt dann auf, wenn beide Gene mutiert sind. So können zwei Menschen aufeinander treffen, die beide heterozygote Träger einer Mutation sind (also nur in einem Gen eine Mutation haben und daher eher symptomlos sind), die im Zuge der Fortpflanzung ein 25-prozentiges Risiko tragen, Kinder zu bekommen, bei denen beide Gene mutiert sind (homozygot). Wir haben schon gesagt, man erbt immer ein Gen von der Mutter und eines vom Vater. Mit einem 25-prozentigen Risiko erbt das Kind zweier Überträger sowohl von der Mutter als auch vom Vater das jeweilige mutierte Gen, besitzt dann zwei mutierte Anlagen und wird krank.
    Im Sinne unserer Diskussion über die Bedeutung von Individualität könnten wir wieder Zurufe bekommen, wie etwa „Individualität ja, aber nicht um jeden Preis!“ Wer braucht ein mutiertes Hämoglobin-Gen? Wozu diese Individualität, wenn sie doch offensichtlich Nachteile in sich birgt, ja sogar Krankheiten verursacht? Weil sie in Zukunft einmal von Vorteil sein wird? Vielleicht auch. Aber sie ist es auch schon in der Gegenwart! Heterozygote Träger von Mutationen im Hämoglobin-Gen bekommen nicht nur keine Sichelzellenanämie in ihrem vollen Erscheinungsbild, sie sind auch gegen die schwere Verlaufsform der Malariainfektion geschützt. Es gibt verschiedene Erklärungsmodelle dafür, die im Wesentlichen auf zellulärer und biochemischer Ebene angesiedelt sind. So hat das Tragen einer Mutation in einem Hämoglobin-Gen in unseren Breitengraden eigentlich eher nur Nachteile (oder wir wissen es aktuell einfach noch nicht besser), nämlich unter Umständen ein erhöhtes Risiko, Nachkommen mit Sichelzellenanämie zu bekommen. In den typischen Malariagebieten hat es aber klare und wesentliche Vorteile, ein mutiertes Gen zu haben (Heterozygotenvorteil). Es ergibt sich dadurch natürlich logischerweise auch, dass mutierte Hämoglobin-Genvarianten in den Malariagebieten wesentlich häufiger auftreten als bei uns.
    Die Evolution setzt kompromisslos auf Individualität
    Der Heterozygotenvorteil ist ein beeindruckendes Beispiel dafür, warum Genvarianten, die unter bestimmten Umständen von Nachteil sind, weil sie Krankheiten verursachen, trotzdem in der Evolution überlebt haben und weiter überleben. Die Evolution testet im Sinne von „Survival of the fittest“ stets, ob eine Variante von Vor- oder Nachteil ist. Aber warum gibt es dann Krankheit verursachende Genvarianten – immer wieder und seit langer Zeit? Einerseits, weil sie eben, wie oben beschrieben, unter anderen Umständen Vorteile haben können. Wir kennen mittlerweile eine schon beachtliche Zahl solcher Konstellationen – und unser Wissen darüber nimmt ständig zu. Andererseits führen bestimmte Genvarianten zu Erkrankungen, die vielleicht erst später im Leben auftreten, vielleicht eben erst nachdem sich der Träger bereits fortgepflanzt hat.
    Die Kraft der Individualität, von der ich in diesem Buch spreche, finde ich aber vor allem im Zulassen zufälliger Neuvarianten. Die Evolution setzt alles auf diese Individualität. Im Zuge der sexuellen Fortpflanzung entstehen immer und immer neue Varianten – manche mit Vorteilen, manche mit Nachteilen aus heutiger Sicht. Die Evolution verlässt sich aber keinesfalls auf das aktuell gerade Vorteilhafte oder Bewährte. Sie schafft dennoch immer wieder

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