Die Durchschnittsfalle (German Edition)
Buches darüber freuen, dass sie kein Y-Chromosom aufweisen. Das Y-Chromosom macht männlich – darauf kann man schließlich dankend verzichten? Sonst ist alles gleich. Aber wo steckt sie dann, die so hochgelobte genetische Individualität? In der Sequenz unserer Gene. Jeder Mensch besitzt mehr oder weniger jedes Gen, aber jeder hat seine individuellen Varianten davon. Die Sequenz der DNA (die genaue Anordnung der Basenpaare ATGC) ist individuell. Und auch hier ist es nicht eine wirklich quantitative, sondern vielmehr eine qualitative Frage. Sie werden jetzt vielleicht erstaunt sein, aber die genetische Individualität des Menschen beträgt nur etwa 0,1 Prozent. Ihre Erbanlagen unterscheiden sich von denen Ihres Nachbarn um nur ungefähr (eben plus / minus) 0,1 Prozent – der Rest ist gleich.
Ich weiß, jetzt würden viele Leser gerne woanders wohnen. Aber ob es für Sie ein Trost ist oder nicht, es ist egal, wen Sie zum Nachbarn haben. Vergleicht man zwei aus den Milliarden Menschen auf der Erde, haben sie zueinander zu ungefähr 99,9 Prozent übereinstimmende Erbanlagen. Der Unterschied zwischen einem und dem anderen Menschen beträgt nur um die 0,1 Prozent. So schwer solche Zahlen überhaupt berechenbar sind, so stark sind sie auch ständig in Diskussion und so unbedeutend sind sie ja auch. Es handelt sich schließlich nur um Durchschnittswerte. Für unsere bereits an anderer Stelle geführte Diskussion, warum es genetisch keine Rassen des Menschen gibt, ist lediglich relevant, dass der Unterschied zwischen zwei weißen Menschen größer sein kann als zwischen einem weißen und einem schwarzen Menschen. Der biologische Rassenbegriff taugt nicht zur Anwendung auf den heutigen Menschen und die Ausbildung von Gruppen, die etwa als Ethnien bezeichnet werden, ist kein biologischer, sondern ein kultureller Prozess.
Quantität spielt aus genetischer Sicht gesehen einfach eine untergeordnete Rolle. Erst voriges Jahr wurde das Erbgut der Hydra durchsequenziert. Und ob Sie es glauben oder nicht, dieses winzige Tierchen hat wahrscheinlich 20.000 Gene (und wir mit unseren 22.500 Genen?). Zu Ihrer Beruhigung, es gibt Blattflöhe mit nur etwa 180 Genen, bestimmte Bakterien in unserem Darm leben mit etwa 5000 Genen und Fliegen haben vielleicht 12.000 Gene. Aber! Aber! Der Gemeine Wasserfloh (der natürlich nicht gemein im Sinne von bösartig ist) besitzt ungefähr 30.000 Gene und Kohl sogar 100.000 Gene! Und jetzt sagen Sie einmal, Talente haben etwas mit der Genanzahl zu tun. Das Gemüse Kohl mit 100.000 Genen und all seinen Talenten! Natürlich nicht!
Ein Affenzirkus
Sequenzvergleiche zwischen dem Menschen und dem Affen haben in den letzten zwei Jahrzehnten immer wieder zu heftigen Diskussionen geführt. Polarisiert waren und sind diese Debatten wahrscheinlich deshalb, weil die einen sich einen möglichst kleinen, die anderen sich aber einen möglichst großen Unterschied wünschen. Lange Zeit hat man sich immer etwa bei 1 Prozent eingependelt – 1 Prozent genetischer Unterschied zwischen Mensch und Affe (und hier hängt es natürlich auch noch davon ab, von welcher Affenart man spricht). Immer wieder, wenn Sequenzdaten veröffentlicht wurden, gingen die Wogen hoch. Einmal mehr in die Richtung, der Mensch ist doch sehr ein Affe, und einmal mehr in die Richtung, der Mensch ist doch nicht so sehr ein Affe. Ich kann mich an einen Anruf eines Journalisten erinnern, als wieder einmal eine neue Zahl für den genetischen Unterschied zwischen Mensch und Affe in der Literatur aufgetaucht ist. Es ist schon geraume Zeit her und der Unterschied wurde gerade wieder einmal als geringer eingeschätzt als bis zum damaligen Zeitpunkt angenommen. Am Flughafen sitzend und wartend, mit Zeit und Laune zum Plaudern ausgestattet, kamen der Journalist und ich ins Scherzen: „Ja, aber wenn der genetische Unterschied zwischen Mensch und Affe nicht viel größer ist als zwischen zwei Menschen, dann muss es doch nach entsprechender statistischer Varianz und Verteilung Menschen geben, die genetisch näher am Affen als an einem anderen Menschen sind. Tja, aber das schreibe ich so nicht. Das schließt die Theorie nicht aus – ich kenne sogar solche Menschen!“
Sie dürfen ruhig lachen. Auch weil aktuellere Studien des Genetikers Svante Pääbo darauf hinweisen, dass der genetische Unterschied zwischen Mensch und Affe größer ist als bisher angenommen. Ganz wichtig in diesem Zusammenhang ist es aber zu verstehen, dass dieser quantitative
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