Die Durchschnittsfalle (German Edition)
Verfügung, die es uns ermöglichen, das gesamte Genom eines Menschen in wenigen Tagen um ein paar Tausend Euro zu sequenzieren. Und es wird noch schneller und noch billiger gehen. Und es wird vieler Diskussionen über Vor- und Nachteile solcher neuen Technologien für das Wohl des Menschen bedürfen.
Der Fortschritt ist enorm und das Wissen wächst und verändert sich in unvorstellbarer Weise. Es wird von bösartigen Universitätsdozenten der Genetik gemunkelt, die ihren Studenten Bücher zur Vorbereitung auf die Prüfung borgen, aus denen sie selbst noch gelernt haben. Mit diesem veralteten Wissen hat man heute kaum eine Chance, die Prüfung zu bestehen. Gerade auch in unserem Fach verläuft die Zunahme an Wissen exponentiell. Wir werden in den nächsten 20 Jahren nicht „nur“ einen Zuwachs an Neuem haben wie in den letzten 20 Jahren. Nein, das Ausmaß an Wissenszunahme wird viel größer sein. Und stellen Sie sich vor, was uns alles vor 20 Jahren noch nicht oder nur kaum zur Verfügung stand.
Wenn ich mich daher manchmal darüber ärgere oder sogar davor fürchte, dass das eine oder andere, von dessen Richtigkeit wir heute schwer überzeugt sind, in 20 Jahren nicht mehr stimmen könnte, tröste ich mich immer mit folgender Anekdote. Als ich einmal von einem Kongress nach Hause kam, traf ich meine Tochter im Vorzimmer unseres Hauses an. Ich bin seelenruhig davon ausgegangen, dass sie mir jetzt um den Hals fallen wird, weil sie mich ja natürlich total vermisst hat. Sie aber hat nur die Hand gehoben, gedeutet „Ich kann jetzt nicht“ und mir klar gemacht, dass sie ja gerade am Handy telefoniert. Etwas erbost darüber rief ich ihr nach: „Anna, weißt Du eigentlich, dass es ein Leben vor dem Handy gab!“ Ich meinte, dass es ein Leben vor dem Handy gab, so wie es auch ein Leben vor dem Farbfernseher, dem Internet, ja sogar vor Facebook gab. Meine Tochter unterbrach ihr Handytelefonat nur ausgesprochen ungern und daher auch nur ausgesprochen kurz, aber das musste jetzt offensichtlich nachhaltig ein für alle Mal geklärt werden: „Papa, ich weiß, dass es eine Zeit vor dem Handy gab, aber Leben war das keines!“
Jedes der vielleicht 22.500 Gene hat man zweimal, einmal von der Mutter und einmal vom Vater. Im Zuge der sexuellen Fortpflanzung entsteht Individualität der Nachkommen dadurch, dass ja Ihre Mutter und Ihr Vater die beiden Sets an Genen auch von deren Vater und Mutter (je zur Hälfte) geerbt haben. Für jedes Gen ist die Frage, welches der beiden (das großväterliche oder großmütterliche) Sie an Ihre Nachkommen weitergeben, schon einmal Zufall. Jede Hydra in der Pfütze, jeder Mensch ist dann also ein zufälliges Gemisch großväterlicher und großmütterlicher Gene, väterlicherseits und mütterlicherseits. Genetische Individualität bildet sich aber auch, weil bei der Entstehung individuellen Lebens durch Verschmelzung von Ei- und Samenzelle (jede bringt ein halbes Set an Genen von der Mutter beziehungsweise dem Vater) noch weitere biochemische Prozesse ablaufen, die für zusätzliche auch zufällige genetische Durchmischung sorgen. Und noch einmal zusätzlich treten im Zuge der Entstehung individuellen Lebens auch noch genetische Veränderungen (Mutationen) neu und erstmals auf. All diese Prozesse sorgen dafür, dass jeder Mensch sein ganz individuelles Genom, seinen ganz individuellen genetischen Fingerabdruck hat. Diese Individualität wird ja auch bei Vaterschaftsnachweisen oder im Zuge von Täterermittlungen in der Kriminologie als Beweismittel herangezogen. Die Wahrscheinlichkeit, dass zwei Menschen (so sie nicht eineiige Zwillinge sind) auf unserem Planeten leben, die zufällig die gleiche Sequenz in ihrer DNA haben, sich in der Sequenz ihres Erbguts also nicht unterscheiden, ist praktisch, theoretisch und überhaupt nahezu null.
Biologische Individualität
Jeder Mensch ist genetisch anders, individuell. Das ist ein Dogma, auf dem dieses Buch aufbaut – gepaart mit dem Wissen, dass die Individualität jedes Einzelnen durch seine individuelle, nicht kopiengetreu reproduzierbare Umwelt auch noch massiv gesteigert wird. Genetische Individualität ist viel mehr ein qualitativer Begriff als ein quantitativer. Grundsätzlich verfügt jeder Mensch über die gleichen Gene. Es liest niemand dieses Buch mit mehr Genen als der andere. Es kann auch niemand beim Lesen ein paar weglegen. Jeder Mensch hat jedes Gen (und jedes sogar zweimal). Mit der Ausnahme, dass sich die Hälfte der Leser dieses
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