Die Durchschnittsfalle (German Edition)
Unterschied nicht wirklich ausschlaggebend ist. Die Verschaltung und Wechselwirkung der Gene untereinander, die Verwendung der Gene durch Übersetzung in Proteine (zur Epigenetik kommen wir noch im Detail etwas später) und die Umwelt – das alles ist von viel größerer Bedeutung. Was die Verschaltungen und Wechselwirkungen der Gene untereinander und zueinander betrifft, muss noch sehr viel erforscht werden. Klar ist, dass man mit fünf Einheiten fünf Resultate oder auch fünf mal fünf Resultate erzielen kann, je nachdem wie man sie einsetzt und kombiniert. Das macht auch verständlich, warum Tiere, die weniger können als der Mensch, gar nicht weniger Gene besitzen müssen. Der Wasserfloh hat 30.000 Gene und der Mensch nur 22.500 Gene – das habe ich schon gesagt. Beim Menschen ist offensichtlich folglich eins plus eins nicht zwei, sondern viel mehr. Wie viele Proteine entstehen aus wie vielen Genen und wie wirken sie funktionell in einem gigantischen Netzwerk in unserem Körper zusammen? Und jetzt wissen Sie auch, warum man heute von der postgenomischen Zeit spricht: Wir wissen viel mehr über die DNA-Sequenz, aber man arbeitet gerade emsig daran, ihre Übersetzung und Umsetzung zu verstehen.
Nicht gut oder schlecht, sondern individuell
Genetisch ist also jeder Mensch individuell. Was diese genetische Individualität mit den Aspekten der Begabungen zu tun haben könnte, besprechen wir im nächsten Kapitel. Innerhalb meiner Profession „Medizinische Genetik“ beschäftige ich mich mit der Frage, inwieweit diese genetische Individualität Konsequenzen für das Auftreten bestimmter Erkrankungen des Menschen haben kann. Ich möchte das an dem Beispiel der genetischen Erkrankung Tuberöse Sklerose erläutern. Ungefähr jedes 6000. Kind kommt mit bestimmten Veränderungen in der Sequenz der Gene TSC1 oder TSC2 zur Welt. Wie schon erläutert, jeder Mensch weist diese Gene auf. Jeder Mensch hat TSC1 und TSC2 sogar zweimal, einmal vom Vater und einmal von der Mutter. Jeder hat seine individuellen Varianten davon. Aber eben 1 von 6000 Kindern wird mit einer Variante in einem der beiden Gene geboren, die kausal im Zusammenhang mit der Entstehung von Tuberöser Sklerose steht. Das klinische Bild dieser Erkrankung kann sehr unterschiedlich sein und es gibt sogar sehr leichte Formen davon. Aber der überwiegende Anteil der Betroffenen zeigt schwere Symptome wie mentale Retardierung, Autismus und Epilepsie. Ausgelöst werden diese Symptome durch unkontrollierte Zellteilung im Körper, die zum Wachstum von zumeist gutartigen, aber sehr vielen Tumoren im ganzen Körper dieser Kinder führen. Diese Tumore, auch Hamartome genannt, findet man zum Beispiel im Herzen, in der Niere, auf der Haut und eben auch im Gehirn, wo sie die oben angesprochenen Symptome auslösen.
Es waren viele Jahre Forschung, an der auch wir beteiligt waren, notwendig, um herauszufinden, was im Körper, in den Zellen dieser kleinen Patienten vor sich geht, wenn eines der TSC-Gene in eben bestimmten Varianten vorliegt. Erst in den letzten Jahren ist es gelungen, ein genaueres Bild davon zu bekommen. Die Proteine, die von diesen Genen codiert werden, sind in einem Signalübertragungsweg involviert, der von großer Bedeutung in unseren Zellen dafür ist, dass sie sich nicht unkontrolliert weiter teilen, sondern ihre einzelnen Funktionen in unserem Körper erfüllen. Wenn ein TSC-Gen mutiert ist, ist dieser Signalübertragungsweg überaktiv: Die Zelle teilt sich und löst Tumorwachstum aus, wo sich eigentlich nichts teilen sollte. Es hat viele Jahre Forschung (und natürlich auch viel Geld) benötigt, bis herausgefunden wurde, dass ein Medikament mit dem Namen Rapamycin diesen bei jenen Kindern überaktiven Signalweg wieder normalisieren kann. Rapamycin hat seinen Namen von der Osterinsel Rapa Nui, in deren Boden erstmals der Bakterienstamm gefunden wurde, aus dem Rapamycin ursprünglich isoliert wurde. Es laufen gerade weltweit viele klinische Studien, um herauszufinden, wie gut welche Dosierung von Rapamycin diesen Kindern helfen kann. Wenn das auch sicher noch nicht eine vollständige Heilung für Tuberöse-Sklerose-Patienten bedeutet, so sind die ersten Ergebnisse wirklich sehr vielversprechend.
Ich habe das an dieser Stelle beschrieben, um noch einen zusätzlichen Punkt anzusprechen, den ich im vorigen Kapitel schon angedeutet habe. Wir haben uns darüber unterhalten, dass wir die Zukunft nicht kennen und daher eine genetische Variante (wie etwa der
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