Die Durchschnittsfalle (German Edition)
können nicht gewertet werden
Die Autoren des „Weißbuchs Begabungs- und Exzellenzförderung“ unterscheiden wie folgt: „Begabungsförderung hat das Ziel, die Entwicklung der Potenziale von Kindern und Jugendlichen bestmöglich zu unterstützen … Begabtenförderung ist Teil der Begabungsförderung, richtet sich aber meist auf eine als überdurchschnittlich begabt und motiviert identifizierte Gruppe von Kindern und Jugendlichen … Exzellenzförderung richtet ihre Aufmerksamkeit nicht so sehr auf die Potenziale, die es zu entwickeln gilt, sondern auf die Vervollkommnung und Erweiterung von bereits gezeigten überdurchschnittlichen Leistungen auf einem Gebiet.“
Das macht noch einmal klar: Talente im Sinne besonderer Leistungsvoraussetzungen sind nicht wirklich messbar. Was wir sehen und vergleichen können, ist das Produkt aus Genetik und Umwelt, der Erfolg, die Leistung. Ein weiterer Schluss aus all meinen Ausführungen ist aber auch, dass Talente nicht wertbar sind (wären). Welches Talent einmal gebraucht werden wird, können wir nicht wissen, weil niemand voraussagen kann, welche Fragen in Zukunft auf uns zukommen.
Liebe Leserinnen und Leser, geben Sie mir jetzt (endlich) recht, dass es eigentlich überhaupt nicht nachvollziehbar ist, wenn man uns ständig glauben machen will, Plácido Domingo und Lionel Messi hätten größeres Talent als wir oder unsere Kinder? Was trägt eine schön gesungene Oper oder ein wunderschönes Tor (ohne deren Bedeutung schmälern zu wollen) mehr zur Lösung der Fragen der Zukunft bei als das, was wir den ganzen Tag an individuellen Leistungen erbringen? Was tragen Domingo und Messi überhaupt zur Lösung von Problemen bei?
Daraus ergibt sich zusätzlich schlüssig, dass Individualität die beste Antwort in der Gegenwart auf die unbekannten Fragen der Zukunft ist. Und daraus ergibt sich auch mehr als schlüssig, dass wir auf kein einziges Talent verzichten können. Wir können uns das Anstreben eines Durchschnitts, selbst das Ziel, viele auf ein gemeinsames gleich hohes Niveau zu bringen, nicht leisten, weil die dadurch fehlende Individualität den Menschen in letzter Konsequenz zu einer vom Aussterben bedrohten Art machen kann.
Biologische Leistungsvoraussetzungen setzen sich nicht von allein durch
Der Reformpädagoge und Mitbegründer der „Elite“-Schule Salem Kurt Hahn sagte einmal: „Es ist Vergewaltigung, Kinder in Meinungen hineinzuzwingen. Aber es ist Verwahrlosung, ihnen nicht zu Erlebnissen zu verhelfen, durch die sie ihrer verborgenen Kräfte gewahr werden können.“ Denn ob wir es wahrhaben wollen oder nicht, die verborgenen Kräfte, die besonderen individuellen Leistungsvoraussetzungen setzen sich nicht von allein und automatisch durch.
Immer wieder hört man in diesem Zusammenhang: Ein wirklich großes Talent bemerkt man schon irgendwie. Was soll das sein, ein „großes“ Talent? Es geht um individuelle Talente. Und wie bemerkt man so etwas zufällig? Jemand, der die körperlichen Voraussetzungen für den Laufsport hat, wird schon irgendwie zum Laufen kommen? Was aber, wenn Sport in dem Land, in der Stadt, in der Schule, in der Familie des Talents keinerlei Stellenwert hat (haben kann)? Eine große Stimme setzt sich durch? Weil uns ja schließlich alle großen Talente unter der Dusche schon irgendwie auffallen und es ja keine Eltern gibt, die nicht total begeistert sind, wenn die Tochter sagt, sie will einmal ein Popstar werden? Und wie setzen sich die Talente in den bildungsfernen Schichten von allein durch?
„Ein Talent hat jeder Mensch, nur gehört zumeist das Licht der Bildung dazu, um es aufzufinden“ , hat Peter Rosegger einmal gesagt. Die bildungsfernen Schichten müssen zur Bildung geführt werden – kompromisslos! Nicht, um den Durchschnitt zu heben. Sondern weil wir es uns nicht leisten können, auf diesen unglaublichen Schatz an individuellen Talenten zu verzichten!
Das Alter des Talents?
Wer Kinder hat, kann sich sicher noch daran erinnern, dass man ständig vergleicht, auch weil man dazu angehalten wird. Beim Kinderarzt hat das ja durchaus nachvollziehbar Sinn und ist von großer Bedeutung. Hier geht es um die Gesundheit der nächsten Generation. Obwohl ich mich schon dort das eine oder andere Mal gefragt habe, wie wichtig es jetzt wirklich ist, dass das Kind im Normbereich liegt bezüglich etwa der Körpergröße. Aber spätestens wenn man mit anderen Kindern in Kontakt kommt, beginnt das Rennen „Liegt mein Kind hoffentlich
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