Die Durchschnittsfalle (German Edition)
wirklich überall schön im Durchschnitt, im Normbereich!“ Wer meiner Argumentation in diesem Buch folgt, weiß aber jetzt, dass wir uns nicht auf die Suche machen sollten nach dem, was unsere Kinder genauso machen wie alle anderen, wie der Durchschnitt. Das Rennen muss unter dem Titel stehen: „Was macht mein Kind anders als die anderen?“ Wo ist es besonders individuell? Ganz und gar nicht im Sinne von „besser oder schlechter“, sondern im Sinne „anders ist besser“. Allen Eltern, die bei ihrem Kind glauben, etwas entdeckt zu haben, was ihr Kind schlechter kann als andere, möchte ich zurufen, „anders“ ist nicht unbedingt schlechter. Und all jenen Eltern, die meinen, eine besondere Begabung zu finden ist nicht unbedingt von Vorteil für das Kind, muss unbedingt Mut zum Anderssein gemacht werden. Das begabte Kind könnte ja ausgeschlossen werden, es könnte sich anders fühlen … Wenn alle als individuelle Wesen gesehen werden, dann sind alle anders, und Anderssein ist dann die Norm – Anderssein ist dann der ganze Stolz – von Eltern und Kindern gleichermaßen. Hoffentlich zieht dieser Stolz bald wieder in die Häuser unserer Familien, in unsere Schulen und in die Köpfe der Politik ein.
Die Entdeckung von Talenten gelingt nicht in irgendeinem Alter besser als in einem anderen. Dafür gibt es wissenschaftlich keinerlei Belege. Es hat aber natürlich sehr viel Sinn, sich schon bei den Kleinen und Kleinsten auf die Suche zu begeben. Auch wenn der Spruch „Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr!“ im eigentlichen Sinn nicht wirklich stimmt: Ein früh entdecktes Talent hat die Chance, genügend Zeit zu haben zu üben, üben, üben, um daraus eine Spitzenleistung zu machen. Bei körperlichen Anlagen ist die Kraft der Jugend außerdem einfach ein unverzichtbarer Bestandteil eines sinnvollen Talentförderprogrammes. Umso eher man beginnt, sich auf die Suche nach dem „Anderen“, dem „Besonderen“ zu machen, umso mehr Chancen hat man, so etwas auch zu finden. Aber all das schließt in keiner Weise aus, dass besondere Leistungsvoraussetzungen, besondere Begabungen nicht auch noch im höheren Alter entdeckt und schließlich auch zu einer besonderen Leistung umgesetzt werden können. Auch hier gilt aber unbedingt: Lebenslanges Lernen bitte nicht, um den Durchschnitt zu heben, sondern auf der Suche nach Talenten, eben einfach nach älteren Peaks und Freaks.
Gentests
„Intelligence quotient (IQ), emotional quotient (EQ), athletic abilities, character, environmental sensitivity and artistic creativity“ sind Eigenschaften und Merkmale, die Firmen wie beispielsweise mygeneprofile durch Gentests an Kindern untersuchen. Es wird angeboten, an eingeschickten Speichelproben einen sogenannten „Inborn Talent Genetic Test“ durchführen zu lassen und dabei Gene mit so schillernden Namen wie „optimistic gene, risk taking gene, sociable gene, shyness gene, creative gene, analytical thinking gene, memory gene, intelligence gene, enthusiasm gene, musical gene, drawing gene, linguistic gene, sport gene etc.“ bei den Kindern zu untersuchen. Am Ende erhält man ein individuelles genetisches Talent-Profil für das Kind. Wir haben in diesem Buch gelernt, mit solchen Angeboten umzugehen. Wir wissen jetzt, dass jeder Mensch praktisch die gleichen Gene aufweist (Mann / Frau-Unterschied). Jeder Mensch verfügt über jedes Gen (sogar zweimal), aber jeder hat seine individuellen Varianten davon. Für keine der oben angesprochenen Talente, Begabungen gibt es das eine entscheidende Gen. Viele verschiedene Gene, ihre entsprechenden Interaktionen und ihre epigenetischen Regulationen spielen bei der Ausprägung komplexer Merkmale des Menschen eine Rolle. Und dann kommt noch der so enorm große Einfluss der Umwelt dazu!
Warum aber nicht sein Kind genetisch untersuchen lassen, wenn man sich auf die Suche nach (noch) verborgenen Talenten machen möchte? Nicht, weil diese Tests nicht richtig durchgeführt werden. Aber, weil diese genetischen Tests keinerlei Sicherheiten geben – ja nicht einmal besonders hohe Wahrscheinlichkeiten. Entsprechende Varianten der untersuchten Gene zu tragen bedeutet in keiner Weise, notwendigerweise auch wirklich diese komplexen Anlagen zu haben. Für viele dieser Gene gibt es nicht einmal einen biologischen Hintergrund für einen entsprechenden Zusammenhang. Es handelt sich oft ausschließlich um statistische Zusammenhänge. Sollte eine Studie ergeben, dass ein statistisch
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