Die Echsenwelt: Ein Pip& Flinx Roman
Tonscherben, Knochen von Tieren und von Menschen, getrocknete Pflanzenteile, archaisch anmutende Elektronikkomponenten, zwei ausgebrannte Speicherchyps und mehr. Als der alte Mann damit fertig war, kauerte er sich mit gekreuzten Beinen neben die Decke, den Blick aufs Meer gerichtet. Der Wind spielte mit den Spitzen seiner weißen Haare. Dann schloss der Alte die Augen und begann zu singen.
Da er keine Instruktionen erhalten hatte und nicht wusste, was er sonst tun sollte, hockte Flinx sich einfach schweigend hin und schaute zu. Hin und wieder erwachte der Schamane aus seiner selbstherbeigeführten Trance, streckte einen Arm aus und berührte diesen oder jenen Gegenstand auf der Decke. Einmal beugte er sich vor, um die zwei Computerchyps und einen konservierten Salamander umzuarrangieren. Der Schrei einer einsamen Seemöwe hallte durch die Nacht. Pip, unter Flinx' Hemd, schlief glücklich und zufrieden.
Schließlich griff Cayacu, ohne seinen Singsang zu unterbrechen, nach einem Schraubdeckelbehälter und öffnete ihn, tauchte seine Finger in die Flüssigkeit und schnippte ein paar Tropfen auf seinen Gast. Sie spritzten dem jungen Mann ins Gesicht, und Flinx zuckte ein wenig zurück. Der Schamane vollführte das Ritual ein zweites Mal, dann verschloss er den Behälter. Augenblicke später endete die Zeremonie abrupt.
Mit offensichtlichem Stolz stand Cayacu auf und rieb sich die Schenkel und Waden, um wieder Gefühl in seine alten Glieder zu bekommen. »So, jetzt kann dir eigentlich nicht mehr viel passieren. Ich hab die Geister befragt, und sie haben mir beteuert, dass du in Sicherheit bist.« Er tippte mit dem Finger gegen eine Brusttasche seines Hemdes. »Außerdem hat sich der Indikatoralarm, den ich auf dein Nachrichtenbild angesetzt hab, noch nicht gemeldet. Das bedeutet, dass die Polizei immer noch nicht weiß, wo du steckst.«
Flinx musst grinsen. »Also vertrauen Sie letzten Endes doch mehr der Technik als der Magie.«
Cayacu zuckte die Achseln, während er auf die Felsspalte wies, durch die sie die versunkene Stadt betreten hatten. »Sagen wir mal so, Söhnchen: Eine totale Sonnenfinsternis ist mir lieber als eine halbe. Obwohl ich dich erst seit Kurzem kenne, dachte ich mir, dass du diesen Ort hier interessant finden würdest.«
»Sehr sogar.« Flinx schämte sich nicht zuzugeben, dass ihn der Anblick tief berührt hatte. »Danke, dass Sie mich hierhergebracht haben. Ich glaube, es hat mir geholfen, eine persönliche Beziehung zu erkennen, die ich vorher nicht wahrhaben wollte.« Während sie den Platz verließen, deutete er noch einmal auf die aufragenden Erdhügel. »Wieso wurden hier eigentlich keine Ausgrabungen gemacht?«
»In diesem Teil der Welt gibt es unzählige solcher Ruinen«, erklärte ihm der Schamane. »Viel mehr, als Geld vorhanden ist, um sie zu erforschen. Man könnte hier ganze Hundertschaften von Archäologen beschäftigen, und sie wären in tausend Jahren noch nicht fertig. Aber sie machen lieber Jagd auf die finanziell lohnenderen Fundgruben, wo es noch Gold und Silber und edelsteinbesetzte Stücke zu holen gibt. Flecken, an denen die Menschen nur gewohnt haben, so wie Pacyatambu, rangieren auf der Liste zu erforschender Örtlichkeiten ziemlich weit unten.«
Sie erreichten den Fuß des steilen Felsufers und kehrten zurück zu der schlummernden Stadt und dem Haus des Schamanen. »Du kannst heute bei mir übernachten, Söhnchen. Morgen Abend werde ich dann versuchen, dich dahin zu bringen, wo du hin willst.«
Flinx sah ihn neugierig an. »Warum tun Sie das? Ich bin doch für Sie ein vollkommen Fremder. Wieso sollten Sie mir helfen wollen?«
Cayacu kicherte. »Es macht mir einfach Spaß, den Behörden eins auszuwischen. Was ich tue, rangiert von Amts wegen unter Entertainment. Ich bin zwar kein ewig Gestriger, der die Lebensweise längst vergangener Tage predigt, aber ich nehme diese alten Sitten und Gebräuche doch um einiges ernster als sie. Viel zu viele tragen ihre vermeintliche technologische Überlegenheit wie ein Paar zu enger Hosen. Nun, von Zeit zu Zeit, wenn die Umstände es erlauben, ergötze ich mich ganz gern an ihrem Unbehagen.«
Der Mond warf einen silbernen Pfad auf die ruhige See, der alles Leben auf dieser Welt entstammte, und damit auch der menschliche Verstand, der sich nun über den gesamten Arm dieser Galaxis ausbreitete. Flinx empfand einen Frieden, der ihm vordem verwehrt gewesen war. Doch es war ein sorgenschwerer Frieden und würde es auch bleiben, bis
Weitere Kostenlose Bücher