Die Ecstasy-Affäre
Dieses Leben ist nichts mehr wert. Gib es an Gott zurück.
»Wir haben alles versucht«, sagte der Chefarzt, als er mit Habicht vor dem Bett stand. Alle Infusionen und Schläuche waren entfernt worden. Schmal, friedlich und von der majestätischen Schönheit des Todes verklärt, lag Gerda unter dem Laken, die Hände gefaltet. »Aber auch wir Ärzte sind nur Menschen. Und Gott hat nicht geholfen.«
»Irrtum, Professor. Er hat geholfen.« Habicht wandte sich vom Bett ab. »Aber das zu erklären, wäre zu weitschweifig. Sehen wir es so: Dieser Gott, den wir alle anrufen, hat gewußt, wann ein Leben wertlos wird. Wir Menschen aber erkennen es nicht immer. Hier hat er eine gute Tat getan …«
Der Chefarzt sah Habicht betroffen an. »Ihre Frau war ansonsten gesund. Wenn dieser Schock nicht gewesen wäre …«
»Ihr Leben wäre eine Qual geworden. So muß man es sehen, so muß ich mich trösten, sonst gäbe es keinen Trost für mich.« Habicht gab dem Chefarzt die Hand. Der Händedruck war auffällig kräftig, nicht der eines vom Leid Geschwächten. »Ich danke Ihnen für Ihre Mühe, Herr Professor.«
»Ein merkwürdiger Mann!« sagte der Chefarzt zu seinem Oberarzt, als Habicht das Krankenhaus verlassen hatte. »Zwei Tote innerhalb von zwei Wochen. Sohn und Ehefrau – und er benimmt sich, als sei es das Natürlichste von der Welt. Der muß als Herz einen Granitstein in der Brust haben. Der Mensch ist wirklich ein Rätsel.«
Die Ermittlungen der Kriminalpolizei wurden zu einem Bild, das Robert Habichts Leben deutlich illustrierte.
Es war das Leben eines behüteten, braven Sohnes integrer Eltern, der es einfach satt gehabt hatte, noch Strampelhöschen zu tragen. Das Schicksal eines Jungen mit großen Idealen und einer anerzogenen Gegenwartsfremdheit. Ein fast tragischer Fall, nannte es Reiber. Eine Fehlleistung einer beinahe pathologischen Elternliebe.
Die Ergebnisse der polizeilichen Kleinarbeit besagten:
Robert Habicht hatte eine Freundin besessen, laut Aussage des Schulfreundes, bei dem er angeblich Mathe-Nachhilfe genommen hatte, dies aber nur als Ausrede benutzte, um sich mit dieser Frau zu treffen.
Aussage des Freundes: »Es muß eine Frau gewesen sein, die viel älter als Robert ist. Von Beruf angeblich Bardame. Den Nachnamen kenne ich nicht, den Vornamen habe ich vergessen.«
Folgerung: Durch diese Bardame ist Robert Habicht in Drogenkreise oder sogar in kriminelle Zirkel geraten. Er ist mit der Modedroge Ecstasy bekannt gemacht worden, vielleicht auch noch mit anderen Rauschgiften, und hat selbst Ecstasy genommen. Diese Droge hat ihn abhängig werden lassen. Er wurde hörig.
Auswirkung: Robert ließ rapide in der Schule nach, schlief während des Unterrichts, machte eine Charakterveränderung durch. Er wurde aufsässig; es folgten eskalierende Streitigkeiten mit dem Vater, Auszug aus dem elterlichen Haus. Seitdem Wohnort unbekannt, möglicherweise das Zelt oder die Wohnung der Bardame.
Durch Ecstasy Bekanntschaft mit Christa Helling. Liebesaffäre, Verabreichung von Ecstasy an Christa. Tod des Mädchens durch Kreislaufzusammenbruch.
Folge: Robert Habicht will sich aus den kriminellen Kreisen lösen, wird eine Gefahr für die für Ecstasy zuständige Organisation. Liquidation durch Genickschuß.
»Alles sonnenklar!« sagte Wortke zufrieden bei der Übersicht der Ermittlungen. »Genauso muß es gewesen sein. Die Entwicklungskette ist lückenlos. Was uns noch fehlt, ist die Frau, die Robert um den Finger gewickelt hat. Und natürlich der Mörder … Aber den haben wir, wenn wir diese Barfrau hier vor uns auf dem Stuhl sitzen haben.«
Nach den Zeitungsaufrufen hatten sich viele Zeugen gemeldet. Einige hatten ausgesagt, daß man Habichts 2CV oft in Schwabing gesehen hatte. Geparkt über Nacht, an verschiedenen Stellen. »Das ist wieder Mist!« stellte Wortke fest. Aber eine wichtige Aussage kam von einem jungen Ehepaar, das in jener Sonntagsnacht, in der Christa Helling starb, am Wörthsee entlanggefahren war.
»Plötzlich sahen wir«, erzählte der junge Mann, »wie auf einer Wiese im Mondschein ein Mädchen herumtanzte. Völlig nackt. Wäre ich allein gewesen, hätte ich angehalten. Aber meine Frau neben mir …« Er grinste. »Ich mußte ja weiterfahren. Ich hab' nur gesagt: Die hat 'n Knall, oder die hat gefixt! Aber Mord? Wer denkt denn an so was?«
»Zu dieser Zeit hätte man das Mädchen noch retten können«, sagte Reiber ernst.
»Wer kann das denn wissen? Außerdem war sie nicht allein. Auf
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