Die Ecstasy-Affäre
mit.
Habicht blieb vor dem Grab stehen, blickte eine Weile stumm auf den Hügel und holte dann das Foto aus der Tasche. Er hielt es der Stelle entgegen, wo Gerdas Kopf liegen mußte, und beugte sich dabei etwas vor.
»Das ist sie«, sagte er ohne ein Schwanken in der Stimme. »Gerda, sieh sie dir an. Diese Frau hat uns unseren Sohn weggenommen, hat ihn getötet, hat auch dich auf dem Gewissen. Nein, sie hat kein Gewissen. Sie hat auch dich ermordet! Wir wissen jetzt, wie sie aussieht. Hübsch, nicht wahr? So schön kann sich ein Satan maskieren. Aber ich finde sie, Gerda. Ich habe es dir versprochen. Ich habe jetzt keine andere Aufgabe mehr, als diese Frau zu finden.«
Er blieb nur wenige Minuten am Grab. Beim Abschied sagte er: »Versteh mich recht, Gerda, wenn ich sage: Ich bin froh, daß du jetzt glücklich bist. Bei mir warst du es nicht … aber glaub mir, ich habe dich geliebt.«
Zum Beten war er nicht bereit. Er sah keinen Gott mehr in seinem Dasein, und er konnte ihn auch nicht gebrauchen. Wer für die Rache lebt, entzieht sich der Gnade. Gnade ist Vergeben, und das war jetzt das Letzte, an das Habicht dachte.
Sein zweiter Weg führte ihn zu seinem Amt. Zur Bayerischen Staatsregierung.
Er ließ sich bei seinem Vorgesetzten, einem Leitenden Regierungsdirektor, melden und wurde sofort vorgelassen. Dr. Volker Hassler, so hieß er, kam ihm mit ausgestreckten Händen und einem mitleidigen Gesicht entgegen.
»Ich habe es gestern in der Zeitung gelesen. Was soll ich sagen …«
»Nichts, Herr Regierungsdirektor«, antwortete Habicht kalt.
»Sie haben uns nicht unterrichtet …«
»Ich hielt es für besser so.«
»Wir haben Ihre Gattin sehr geschätzt. Mein Gott, so plötzlich! Die Tragödie mit Ihrem Sohn …«
»Mein Sohn Robert hat seine Mutter mitgenommen.«
Dr. Hassler starrte Habicht an. Er wußte darauf keine Entgegnung. »Mitgenommen?« fragte er nur gedehnt.
»Meine Frau ist an dem Schock gestorben, den der unbegreifliche Tod unseres Sohnes bei ihr ausgelöst hat.«
»Schrecklich! Da sind alle tröstenden Worte sinnlos. Und Sie sehen krank aus, Herr Habicht. Ich schlage Ihnen vor: Sie fahren jetzt erst einmal in Urlaub. Sonderurlaub. Der wird nicht angerechnet, dafür sorge ich. Erholen Sie sich erst einmal. Bringen Sie Ruhe in Ihr Inneres.«
»Deswegen bin ich gekommen, Herr Direktor.«
»Sofort genehmigt.«
»Keinen Urlaub. Ich bitte um eine Beurlaubung auf unbestimmte Zeit und ohne Gehalt. Und zwar ab sofort.«
Dr. Hassler schwieg einen Augenblick völlig überrascht. Solche Anträge eines Beamten waren äußerst selten, vor allem ohne Gehalt. Meistens wies man eine Krankheit durch ein fundiertes Attest nach, das auch für eine Frühpension nützlich war. Einmal nur hatte ein Beamter um Beurlaubung auf unbestimmte Zeit ohne Gehalt nachgesucht. Er hatte im Lotto sechs Richtige angekreuzt und war Millionär geworden. Eine Beurlaubung hielt den Pensionsanspruch aufrecht, und darauf wollte der neue Millionär auf keinen Fall verzichten. Was man sich ersessen hat, soll auch eines Tages ausgezahlt werden. Ein raffinierter Schachzug, den die Kollegen neidvoll diskutierten.
Auf diesen Vorfall spielte Dr. Hassler an, als er fragte:
»Haben Sie im Lotto gewonnen, Herr Habicht?«
»Ich habe nie gespielt. Ich möchte einfach beurlaubt werden, das ist alles. Da ich in dieser Zeit auf mein Gehalt verzichte, dürfte es keine Schwierigkeiten geben.«
»Das sagen Sie so forsch daher.« Dr. Hasslers Trauermiene wich einem dienstlichen Ausdruck. »Ich brauche für den Regierungspräsidenten eine Begründung.«
»Ich habe mir eine besondere Aufgabe vorgenommen.«
»Und welche?«
»Das ist absolute Privatsache, Herr Direktor.«
»Bei einem solchen Antrag ist Offenheit von Nutzen. Der Regierungspräsident muß doch eine Notwendigkeit für die Beurlaubung erkennen.«
»Dann einigen wir uns darauf: Ich will nicht mehr. Ich will einfach nicht mehr.«
»Herr Habicht, diese ganze Tragödie muß innerlich überwunden werden. Ich verstehe.« Die Trauermiene zog wieder über Hasslers Gesicht. »Aber Urlaub auf unbestimmte Zeit …«
»Ich habe es gegenwärtig gründlich satt!«
»Also doch Frühpension?«
»Nein. Verstehen Sie mich nicht, Herr Direktor? Spreche ich chinesisch?« Habichts Stimme wurde unbotmäßig laut. »Ich will nach Erledigung meiner Aufgabe wiederkommen. Ich werde ins Amt zurückkehren. Nur weiß ich nicht, wann das sein wird.«
»Ob ich das durchbekomme, Herr Habicht?« Dr. Hassler
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