Die Ecstasy-Affäre
…«
»Ich mußte Wäsche waschen.« Sie schüttelte den Kopf. »Sie hätten nicht kommen dürfen …«
»Es ist vorläufig auch das letzte Mal.« Er legte beide Hände auf die Theke und drehte die Handflächen nach oben. »Die zwanzig Mark für diesen Blade Runner sind mein letztes Geld. Aber ich werde sehen, woher ich welches bekomme … Ich muß Sie wiedersehen.«
»Ab und zu im Schwimmbad …«
»Nein, jeden Tag. Immer!«
»Das ist doch Unsinn!« Ulrikes Stimme klang ärgerlich, und doch schwang ein Ton von Mitleid mit. »Sie gehören nicht in meine Welt.«
»Weil ich erst achtzehn bin und keine weißen Haare habe wie der Mann, mit dem Sie eben geflirtet haben?«
Sie hörte seinen Vorwurf heraus und warf einen Blick in das Halbdunkel des Saales. Salvatore Brunelli lehnte wieder im Schatten einer Nische und sah zu ihnen herüber.
»Es ist mein Job, die Gäste zu animieren. Umsatz machen, das ist alles. Nur darauf kommt es an. Wer mir in den Ausschnitt starrt, bestellt mehr.«
Ihre Frivolität, der Ton, wie sie ihre Worte aussprach, die Bewegung ihres Oberkörpers dabei erzeugten in Robert einen inneren Kampf. Das ist sie nicht, versuchte er sich einzureden. Das ist nicht die wirkliche Ulrike Sperling … Das ist nur eine Fassade, eine berufsbedingte Verkleidung, unter der sie selbst leidet, die sie selbst haßt, der sie entfliehen möchte, aus der sie aber keinen Ausweg sieht. Die wahre Ulrike glaubte er zu kennen, die junge Frau im Gras des Freibades, abweisend gegen alle Männerblicke – das war sie wirklich. Die Ulrike hinter der Bar war ein Kunstgeschöpf, eine Theaterrolle, eine unfreiwillige Tragödin.
»Wie lange wollen Sie das aushalten?« fragte er.
»Aushalten?« Sie lachte kurz auf. »Sie sehen das völlig falsch, Robert. Ich fühle mich hier wohl, ich verdiene gut, und ich bin noch verhältnismäßig jung. Sieben Jahre können es noch werden, dann bin ich vierzig. Bis dahin hoffe ich, genug gespart zu haben, um eine eigene Boutique aufzumachen.« Sie lachte wieder. »Oder ich habe reich geheiratet. Im Leben ein Ziel zu haben, ist meist eine Illusion. Die Wahrheit sieht man nicht, weil man auf ihr herumtrampelt. Wenn da nicht ab und zu die Überraschungen wären …«
»Ich möchte Ihre Überraschung werden, Ulrike.« Er sagte das ganz ernst, es war wirklich kein Scherz oder eine charmant klingende Bemerkung. Er sah jedoch nicht das Erschrockensein in ihren Augen. Die Sinnlosigkeit seiner Worte entzog sich seinem Bewußtsein. Er hatte einfach ausgesprochen, was er dachte, was er wünschte, ohne die Realität einzubeziehen.
Der Name von Ulrike Sperling traf auf eine bittere Art zu, wenn man ihn wörtlich nahm: Sie war ein Gassenvogel. Ihrer trostlosen Kindheit folgte eine Jugend, in der sie fast immer auf der Flucht war: vor ihrem Stiefvater, der ihr nachstellte, in betrunkenem Zustand in der Wohnung ohne Hose herumlief und sein erigiertes Glied zur Schau stellte. Auf der Flucht auch vor den jungen Männern im Turn- und Schwimmverein, die nach Ulrikes Brüsten griffen. Mit fünfzehn wurde sie von einem Klassenkameraden während einer dreitägigen Klassen-Pilgerfahrt nach Lourdes entjungfert. Ulrike erlebte nicht das Wunder in der Heiligen Grotte, sondern die schmerzhafte Wandlung zur Frau. Das war für sie wie ein Schock, und es gab lange Zeit hindurch keinen Kontakt mehr mit einem männlichen Wesen. Das ergab sich von allein: Als sie in die Ballettschule aufgenommen wurde, traf sie auf Kollegen, für die eine Frau eine Art Neutrum war. Später in der Ballett-Truppe waren die Lesben zahlreicher als die männlichen Verehrer, die nach einer Aufführung meist vor der Tür des Künstlereinganges des Theaters warteten und mit schicken Sportwagen und brillantenbesetzten goldenen Uhren lockten.
Zu dieser Zeit war Ulrike Sperling noch die abweisende Spröde. Ein Porsche oder Ferrari waren keine Visitenkarte für sie. Das änderte sich erst, als sie die Ballett-Truppe verließ und ›Ausdruckstänzerin‹ in einer Tanzbar mit Bühnenshow wurde. Da hatte sie endlich begriffen, daß ihr Körper auch ein Kapital sein konnte. Ein Kapital, mit dem man nach Gutdünken spekulieren konnte und das zum Goldesel wurde wie im Märchen. Esel, streck dich – und es klimperten die Taler.
Es war die Zeit, in der Ulrike Sperling ihre Moral in einen Kasten einschloß, einen Kasten gefüllt mit Geldscheinen. Aber sie sammelte nicht wahllos, sie ließ nicht jeden in ihr Bett, sie selektierte genau und verlor sich
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