Die Ecstasy-Affäre
– welch ein verbrecherisch verniedlichendes Wort! – nimmt, der verursacht damit auch ein heftiges Herzjagen. Die Frequenz schnellt nach oben, der Puls rennt davon, der Kreislauf explodiert. Welches Herz hält das auf Dauer aus? Je länger man sich in diese Ekstase versetzt, um so schneller erfolgt der Zusammenbruch. Ich habe Fälle untersucht, wo nach einem vier Tage dauernden Ecstasy-Rausch die Pillenschlucker in akute Lebensgefahr geraten sind. Nur ein sofortiges Eingreifen des Arztes verhinderte den Herztod. Wo aber ist zum Beispiel bei einer Techno-Party sofort ein Arzt greifbar?«
Ein Zwischenruf aus dem Kreis der Zuhörer unterbrach den Professor. Ein junger Kriminalbeamter hob die Hand wie in der Schule. Als er sprach, drehten sich alle Köpfe zu ihm hin.
»Ist ein Arzt, der einen solchen Fall behandelt, zur Meldung an die Kripo oder das Gesundheitsamt verpflichtet?« fragte er.
Die Antwort gab Peter Reiber. Er stand dazu auf und trat an das Pult.
»Es gibt dazu kein zwingendes Gesetz. Drogenmißbrauch muß gemeldet werden, er verstößt gegen das Betäubungsmittelgesetz. Bei Ecstasy ist dieses Gesetz umstritten, denn die Pillen bestehen aus frei zugänglichen Substanzen. Auch das Gesetz gegen den Mißbrauch von Arzneimitteln greift hier nicht. Ecstasy ist kein Arzneimittel. Ein Arzt wird also – schon um nicht in peinliche Ermittlungen zu geraten – auf seine ärztliche Schweigepflicht zurückgreifen und seinen Patienten nicht zur Anzeige bringen. Er wird ihn warnen, ihn aufklären, ihn von der Droge wegzuholen versuchen, was meist mißlingt, aber nur in seltenen Fällen wird er sich an uns wenden. Etwas anderes ist es, wenn durch Ecstasy-Mißbrauch ein Todesfall eintritt. Da bekommen wir den ganzen Dreck auf den Tisch und rennen gegen die berühmte Gummimauer: Keiner sagt etwas, alle schweigen. Das Höchste, was wir erfahren, ist der große Unbekannte, der mit den Pillen herumzieht und sie verkauft. Natürlich wäre es zweckmäßig, wenn uns jeder Ecstasy-Konsument gemeldet wird …«
»Dann brauchten wir ein Sonderkommissariat«, fiel der junge Kriminalbeamte ein.
»Nicht nur das.« Reiber lächelte gequält. »Allein in München müßten wir einige tausend Familien durchleuchten. Auf ganz Deutschland bezogen wären es einige hunderttausend! Das ist praktisch gar nicht durchführbar. Und was käme dabei auch heraus? Wir kassieren einige hundert Dealer, die sofort nachwachsen, denn an die Hintermänner kommen wir nicht heran. Die Großhändler, vor allem aber die Fabrikanten der Droge sitzen im Ausland und sind bestens organisiert. Wir haben es ja eben gehört: Die Pillen kommen vornehmlich aus Polen und Holland. Doch zurück zu Ihrer Frage, Herr Kollege. Wenn ein Arzt einen jungen Patienten untersucht, der an Herzrasen oder Nierenversagen, Leberschmerzen oder Depressionen leidet, wird dieser Arzt nach allen möglichen Ursachen suchen. Die Frage nach Ecstasy wird er vielleicht zuletzt stellen und die Antwort bekommen: Nein! Was ist Ecstasy? Außerdem: Akute Ecstasy-Fälle sind selten. Das Teuflische an dieser Modedroge ist der schleichende Zerfall. Die Gehirnschädigungen gehen stufenweise vor sich, die Nervenzellen werden zerstört, der Kontakt mit dem Hirn vermindert sich unaufhörlich. Wenn dann irgendwann der Zusammenbruch erfolgt, ist es zu spät. Die abgestorbenen Zellen erneuern sich nicht mehr.« Er wandte sich an Eberlein, der noch immer an der Schautafel stand. »Ist es so, Herr Professor?«
»Sie sagen es.« Eberlein nickte mehrmals. »Da Ecstasy die Flüssigkeitszufuhr bremst, ist die größte Gefahr neben den Herzrhythmusstörungen die Austrocknung der Nieren. Hier könnte man noch helfen, wenn man rechtzeitig eingreift. Aber was heißt rechtzeitig? Jeder Körper reagiert anders auf das Gift. Es kommt nur selten zu spontanen Todesfällen. Es ist ein Tod auf Zeit. Ein Mord auf Zeit! Aber sehen wir uns weiter das Bild an.«
Er tippte auf die Zeichnung. »Wie wirkt Ecstasy auf das Geschlecht? Das ist ein Kapitel, das neben dem Glücksgefühl die stärkste Antriebskraft für den Konsumenten darstellt. Es gibt da zwei konträre Wirkungen: Die Libido, also der Sexualtrieb, läßt kontinuierlich nach, die Befriedigung sexueller Bedürfnisse verringert sich, die Fähigkeit zum Orgasmus wird immer schwächer – oder es geschieht genau das Gegenteil. Der sexuelle Drang explodiert und entzieht sich jeder Kontrolle, weil das durch Ecstasy angeregte Gehirn die dazu nötigen Botenstoffe
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