Die Ecstasy-Affäre
Robert.
»Trotzdem!« Sie stand abrupt auf, und ihm blieb keine andere Wahl, als ihr zu folgen. Um ehrlich zu sein: Ihre Eile kam ihm gelegen. Was er in diesen Minuten alles erfahren hatte, bedurfte einer gewissen Verarbeitung. Wenn nur zehn Prozent von dem, was er im Fernsehen über Bardamen gesehen hatte, der Wahrheit entsprach, war das schon genug, um seine neue innere Zwiespältigkeit zu verstärken.
Robert begleitete Ulrike bis zum Ausgang des Bades und kehrte dann ins Stadion zurück. Sie hatten sich zum Abschied die Hände gereicht, aber es war ein anderer Händedruck gewesen als beim ersten Mal. Ulrike entzog Robert schnell ihre Finger und ging davon, ohne sich noch einmal nach ihm umzudrehen.
Er saß noch lange am Rand des Schwimmbeckens, sah den Turmspringern zu und dachte nach. Unmöglich konnte Ulrike so sein wie die Bardamen in den Filmen, die er kannte. So sah sie nicht aus. Aber was bedeutete das schon? In den Filmen waren die Bardamen immer die Hübschesten, aber auch die Verwerflichsten. Doch Ulrike war anders. Sie sprach anders, sie bewegte sich anders, ihre Augen hatten keinen verführerischen Blick. Sie ist eine Ausnahme, beschloß Robert.
Am nächsten Tag während der großen Pause erzählte er einem Klassenkameraden, der einen sensationellen Ruf als Mädchenaufreißer hatte, von seiner Bekanntschaft mit Ulrike. Der Schulfreund starrte ihn ungläubig an und schnalzte dann mit der Zunge.
»Du hast 'ne Bardame kennengelernt?« fragte er.
»Ja. Eine bildschöne Frau.«
»Junge, Junge …«
»Was heißt das – Junge, Junge?«
»Eine Bartussi! Halt sie dir warm. Bei der kannste lernen, was richtiges Hacken ist …«
»Du Blödmann! Sie ist eine anständige Frau!« Robert war wütend, aber die gemeinen Worte blieben in seiner Erinnerung haften. Sie setzten sich fest und quälten ihn, peinigten ihn bis zum Herzrasen. Er suchte ein Ventil und fand es nur in seinem Klavierspiel. Mit einer bisher unbekannten Wut hieb er eine Beethoven-Sonate in die Tasten, daß es nur so dröhnte. Unten im Wohnzimmer hob Dr. Habicht den Kopf und sah zu seiner Frau hinüber.
»Hör dir das an«, sagte er stolz. »Dieser Anschlag! Der Junge macht sich …«
»Ich habe mit Gerhard ausgemacht, daß er mir abends Nachhilfestunden in Mathematik gibt«, erklärte Robert drei Tage später, nachdem er im Schwimmbad vergeblich auf Ulrike gewartet hatte. »Es kann spät werden.«
Gerhard war der Klassenprimus in Mathe. Dr. Habicht konnte also nur zustimmend nicken.
Er glaubte, eine bemerkenswerte Aktivität seines Sohnes festzustellen, und war erfreut, daß die verhaßte Mathematik nun doch Roberts Interesse geweckt hatte. Auf Dr. Habichts Frage, ob die Nachhilfe eine ständige Einrichtung werden solle, entgegnete Robert, das wisse er noch nicht. Es hinge davon ab, ob sich ein Erfolg abzeichne. Und dann wagte er, das Wesentliche auszusprechen.
»Ich brauche mehr Taschengeld, Papa.«
»Wieviel?« fragte Dr. Habicht, durch Roberts Lerneifer in Gönnerlaune.
»Ich weiß es noch nicht. Bei aller Freundschaft … Gerhard wird es nicht umsonst tun. Soll er auch nicht. Du weißt, daß Gerhards Vater …«
»Wieviel brauchst du jetzt?«
»Im Moment hundert Mark.«
»Oho! Du gehst gleich in die Vollen!«
»In Erfolge muß man investieren, Papa.«
Dr. Habicht war in fröhlicher Stimmung. Er lachte über diesen Ausspruch und holte aus seiner Brieftasche einen Hundertmarkschein. »Gib ihn sinnvoll aus«, sagte er dabei. »Und wenn ihr einen trinken geht …«
»Wir beschäftigen uns mit Mathe, nicht mit Alkohol.«
»Und wenn du in der Dunkelheit zurückkommst, fahr vorsichtig.«
Robert nickte, steckte den Geldschein in seine Jackentasche und verließ schnell das Zimmer. Immer diese Belehrungen, diese dummen Ermahnungen, als ob er noch ein Kind sei! Es regte ihn auf, ständig diese elterlichen Vorhaltungen zu hören, unerträglich waren sie! Er wurde in den Augen seiner Erzeuger anscheinend nie erwachsen und war mit achtzehn Jahren für sie immer noch der Knirps, den man an der Hand führen mußte, damit er nicht über ein Steinchen stolperte. Verdammt noch mal, er war ein Mann! Wann akzeptierten sie das endlich?
Am Abend setzte Robert sich in seinen Citroën und fuhr nach Schwabing. Im Telefonbuch hatte er sich die Adresse der Toscana-Bar herausgesucht; es war leicht, sie zu finden. Er parkte nach langem Suchen in einer abgelegenen Seitenstraße, wo er noch eine Lücke am Straßenrand fand, und ging dann zu Fuß zum
Weitere Kostenlose Bücher