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Die Edwin-Drood-Verschwörung 1 - 300 (German Edition)

Die Edwin-Drood-Verschwörung 1 - 300 (German Edition)

Titel: Die Edwin-Drood-Verschwörung 1 - 300 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dieter Paul Rudolph
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noch dünner als der Unterrock – über den brodelnden, wie glühende Lava dampfenden Kern meines wahren Ichs, dieses Animalische, die uns dank kollektiver Vererbung mitgegebene Primitivität unserer Empfindungen, die brüllenden Urinstinkte, die man an den Fingern einer Hand abzählen kann: Egoismus, Sadismus, Schadenfreude, Herrschsucht und blanke Gier nach Brutalität. So ist der Mensch, das macht ihn aus, wenn man ihm das bisschen Aufklärung, das homöopathische Quantum Christentum oder sonst was Religiöses aus dem Gehirn schneidet und mit dem zurücklässt, was ihn ausmacht. Klingt ernüchternd? Ist ernüchternd. Aber wahr. Wer wüsste es nicht selbst.
    Um es kurz zu machen: Die Bestie in mir hatte für einen Moment das Zepter in die Hand genommen und weidete sich am Anblick des hilflosen, zu voller Panik erblühten Honig, der an seinen Fesseln zerrte, bis ihm die Aussichtslosigkeit des Unterfangens bewusst wurde sowie die beängstigende Entwicklung des Zustandes seiner einzig verbliebenen Atemkanäle, die sich immer bedrohlicher mit Rotz füllten. Er sank wie ein Häuflein Asche in sich zusammen, er war abgebrannt wie nur je ein nukleares Element, ich feixte innerlich. Bald hatte ich ihn soweit.
    »Nun, mein Lieber«, begann ich, auf und ab gehend, die Hände auf dem Rücken verschränkt und eine imaginäre Peitsche haltend, »wir können das hier bis zum bitteren Ende durchziehen oder uns schnell auf einen glimpflichen Ausgang einigen. Ich stelle vernünftige Fragen und Sie geben vernünftige Antworten. Wäre das in Ihrem Sinne?« Honig nickte heftig. Ein Held war er nicht, es wäre auch ziemlich blöd gewesen, einer sein zu wollen.
    »Ich kann also«, sagte ich langsam, sehr langsam, sadistisch langsam, »ich kann also«, wiederholte ich noch langsamer, sehr viel langsamer, sadistischst langsamer, »ich kann also«, setzte ich zum Dritten an und bemerkte, wie sich Honigs Panik noch steigerte, »ich kann also« – na jetzt ist aber gut – »davon ausgehen, dass Sie, sobald ich Ihnen das Heftpflaster vom Maul gezogen habe, nicht anfangen werden zu schreien? Das nämlich wäre fatal, und zwar für Sie.« Honig nickte noch einmal, noch panischer. Ich trat an ihn heran, bekam ein Ende des Pflasters zu fassen, zog es mit einem kräftigen Ruck ab, Honig bäumte sich auf, schickte ein Heulen gegen die Wände seines Schlafzimmers, schwieg dann aber.
    »Nun schön, mein Bester. Ja, machen Sie erst einmal einen Fischmund und genießen Sie die frische Luft Ihres miefigen Schlafzimmers. Mit Lüften haben Sie es wohl nicht so, wie?« Ich wurde unverhältnismäßig fies, ich musste mich beherrschen, das Tierische in mir zurück unter die Haut des Zivilisierten drängen, mich daran erinnern, dass ich einem Volk der Dichter und Denker angehörte, Goethe, Schopenhauer, na, Nietzsche lassen wir jetzt mal außen vor und Wagner, den alten Antisemiten und Stabreimer auch. Moritz Klein, in dir steckt der Humanismus, in dir steckt die Aufklärung, davon weißt du zwar verzweifelt wenig, aber reiß dich zusammen und tue wenigstens so, als wärst du ein würdiger Spross der guten alten deutschen Tradition. Und dann quetsch diesen Idioten aus wie eine ungespritzte Zitrone.

135
    Ich ließ Honig zwei Minuten Zeit, seine Atmung zu stabilisieren. Mir soll schließlich keiner sagen, ich sei inhuman. Als er wieder regelmäßig und ruhig atmete, fragte ich ihn: »Und jetzt erzähl erst einmal, was mit Georg Weber ist.« Diese Frage überraschte Honig sichtbar. Seine Augen weiteten sich, ich wusste nicht, ob vor Erleichterung oder Schreck. »Ge org Weber? Na keine Ahnung, ehrlich. Der war eines Tages nicht mehr da und mehr gibt’s zu diesem Thema nicht zu sagen.«
    Ich zündete mir eine Zigarette an und dachte nach. Erstens darüber, ob ich in Honigs Wohnung einen Aschenbecher finden würde, zweitens, warum mich seine Antwort jetzt nicht wirklich überraschte und ich ihm sogar glaubte. Das erste Problem löste sich, als ich meinen Blick über den Nachttisch schweifen ließ und tatsächlich einen Aschenbecher erspähte. Honig selbst spähte begierig auf das brennende Ding zwischen meinen Lippen, ich ignorierte das kalt. Sagte: »Belohnungen gibt es erst, wenn eine Frage richtig beantwortet wurde« und gab dem gefesselten Mann eine neue Chance: »Dann erzähl mir jetzt alles zu diesen Plüschosterhasen.«
    Man konnte zuschauen, wie in Honigs Kopf Wahrheit und Lüge miteinander rangen, wie eine unverbindliche Mischung aus beidem entstand,

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