Die Edwin-Drood-Verschwörung 1 - 300 (German Edition)
die üblichen Idioten wieder einmal nicht warten konnten, ihre Umwelt mit Lärm zu entzücken.
Ich genoss mein reichhaltiges Frühstück, erfuhr nebenbei aus dem Radio, Radioaktivität sei neuerdings gar nicht gut für die Gesundheit und eine Enthaltung sei eigentlich ein Ja, das heißt ein Nein, jedenfalls: Es verwirrte mich arg. Bei Facebook scharten sich inzwischen an die 200 Freunde um mich, eine »Donna Love« behauptete, sie kenne mich von früher und ich sei ihr noch 500 Euro für besondere Dienste schuldig. Ich war gerade dabei, die geschäftstüch tige Dame aus meinem Freundeskreis zu klicken (das ist der große Vorteil einer virtuellen Freundschaft), als plötzlich das Chatfenster aufpoppte (sorry, heißt halt so in unseren digitalen Zeiten) und Oxana mit einem »Hallo, auch schon wach?« gesprächsmäßig vor mir auftauchte. Ich bestätigte dies und verkniff mir die Gegenfrage »Hallo, auch gerade bei Facebook am Chatten?«
In wenigen Worten umriss ich die Abenteuer der letzten Tage, erntete meine verdienten »Oh!"s und fühlte mich für einen Moment tatsächlich wie einer, den Ian Fleming oder John Le Carré erschaffen hatten. »Spionage?«, fragte Oxana, »kann doch sein«, schrieb ich zurück, »hm, hm«, kam es zweifelnd von der Kasachin. »Könnte alles Mögliche sein. Bei mir gibt’s auch was Neues. Ich bin in einer Stunde in der Stadt unterwegs – hast du schon gefrühstückt?« »Nein«, log ich mit leichter Hand, »gut«, sagte Oxana. »Dann bring ich uns was Leckeres mit und erzähl dir dann die neuen Schwänke von hier, also von Marxer und Sonja. Bye, bis dahin.«
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Zu meiner gelinden Enttäuschung erschien Oxana wie eine x-beliebige Studentin gekleidet, bei der Papi zum Monatsscheck noch einen 20-Euro-Gutschein für C&A spendiert hat. Jeans und Shirt und Anorak und Gummistiefel. Jedermann wird verstehen, dass ich mir die modischen Geschmacklosigkeiten sofort wegdachte. Nicht nur meine Stimmung hob sich.
»Na, du isst aber wenig? Machst ne Diät?« Ich biss zum Beweis des Gegenteils in das Puddingstückchen und zog gleichzeitig den Bauch ein. »Themawechsel«, schlug ich vor. »Okay«, sagte Oxana und schenkte sich Kaffee nach. »Marxer bohrt bei Sonja noch immer. Aber zurzeit schreibt er nicht, was ein gutes Zeichen ist. Hätte er auch nur den Ansatz einer wirklichen Information, müsste sie sofort aufs Papier, denn seinem Kopf traut er speichertechnisch nicht viel zu. Nur eins ist merkwürdig.«
Sie zögerte einen Moment und sah zwischen dem Mohnbrötchen und der Nussecke hin und her, entschied sich dann für letztere. »Ja?«, machte ich und schluckte den Rest des Puddingstückchens. »Ja, eins ist total merkwürdig. Ich hab mal ganz diskret nachgeschaut, was mein Herr und Meister so googelt. Kennst du AMU? Die antimonetaristische Union?« Es hätte mich gewundert, sie zu kennen. »Dacht ich mir, kannte die nämlich auch nicht. Die AMU wurde nach dem 2. Weltkrieg mit dem Ziel gegründet, die Geldwirtschaft durch Tauschwirtschaft zu ersetzen. Denn Geld sei, so sagen es die Proklamationen der AMU, die Wurzel allen Übels und für sämtliche Kriege verantwortlich sowieso natürlich für alle Ungerechtigkeiten, Ausbeutungen und Hungersnöte.«
Ich nickte. War doch was dran. Klang zwar schwer nach Steinzeitkommunismus, aber da wir geradewegs in den Steinzeitkapitalismus steuern, wollte ich die Sache nicht zu eng sehen.
»Je nun«, fuhr Oxana fort, »diese AMU wurde immer nur als ein Kaffeekränzchen naiver Spinner und Weltverbesserer belächelt. Nicht mal die CIA hatte die auf dem Schirm, wo die doch sonst schon eine Akte anle gen, wenn ein betrunkener Schauspieler in Hollywood ‚fuck you, Obama’ denkt. Aber dann – du ahnst es – kam die große Finanzkrise. Und viele Leute sagten sich: Hoppla, scheint ja was dran zu sein an der Tauschwirtschaft. Seitdem jedenfalls hat die AMU Oberwasser. Immer mehr Mitglieder, Artikel in seriösen Zeitungen, sogar Internetwerbung. Und wo befindet sich die Zentrale von dem Laden? In Neu-Delhi, Indien. Aber das Beste kommt noch.«
Das Beste kommt immer zum Schluss und manchmal ist etwas endlos und das Beste kommt gar nicht. Geschenkt. Ich machte erwartungsvoll »Ah!« und Oxana lächelte mir ein hinreißendes »Joar« zurück. »Der Präsident dieser Union ist ein Inder mit englischem Papi. Und heißt? Singhala Easterman.«
Ostermann also. Ich ließ die Information sacken und dachte an Sonja Weber. Von ihr allein konnte Marxer den Hinweis auf die
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