Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Edwin-Drood-Verschwörung 1 - 300 (German Edition)

Die Edwin-Drood-Verschwörung 1 - 300 (German Edition)

Titel: Die Edwin-Drood-Verschwörung 1 - 300 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dieter Paul Rudolph
Vom Netzwerk:
kicherte notgedrungen auch.
    Borsig erschien mit einem Sechserpack »Hartzpils« und einem Strauß frisch entwendeter Blumen, die man am Montag bei irgendeiner Beerdigung vermissen würde. Sein Schalkemützchen auf dem Kopf, machte er einen Diener, wurde Irmi vorgestellt, die ihn sofort als Angehörigen des Proletariats adoptierte und in eine angeregte Diskussion über Glanz und Elend der Gewerkschaften verwickelte. »Die Eisenbahner streiken wieder, aber einen Generalstreik kriegt dieser ganze schlafmützige Verein nicht hin!«, klagte Irmi. »Is doch verboten!«, wusste Borsig, »ach«, wischte Irmi den Einwand beiseite, »genau dann erst recht! Lasst euch nichts verbieten, geht bei Rot über die Straße, treibt es nackt in den Schwimmbädern, kämpft für eure Rechte!« Ein Hauch von Revolution und Anarchie wehte durch die Küche, Hermine zwinkerte mir heimlich zu. Konnte doch ein netter Abend werden, oder?
    Er wurde es, als Oxana erschien. Sie trug – ja trug sie überhaupt etwas unter dem langen silbrig schimmernden Mantel? Borsig und ich nahmen uns des Falles pflichtgemäß und mit größter Sorgfalt an, entdeckten eine Andeutung von Kleid aus halbtransparenter gelber Seide, diskutierten, jeder für sich, die Wahrscheinlichkeit des Vorhandenseins von Unterwäsche darunter, kamen zu dem Ergebnis, sie sei in etwa so hoch wie die eines atomaren Zwischenfalls der Fukushima-Kategorie. »Hm, hm«, machte Oxana, »ich mach mir einfach Sorgen um die Sonja.« Das brachte uns auf den Boden der Tatsachen zurück.

155
    Es wurde eine nette Feier. Sie folgte den Bahnen des Gutbürgerlichen, richtete sich nach der bewährten Formel »fortschreitender Alkoholkonsum = kontinuierliches Gemütlichkeitswachstum«, ging mit neckischen sexuellen Exzessen einher – ich fasste an Hermines linke Brust, angeblich um »den Stoff zu glätten«, Borsig stierte auf die Oxanastelle, an der die Oxanabeine in den Oxanaoberkörper mündeten, selbst Jonas betrachtete Laura mit der Begierde einer außer Kontrolle geratenen Pubertätsmaschine. Die Damen selbst blieben – nach außen hin – passiv. Sie zierten sich und genossen, kicherten maßlos und redeten über Gott und die Welt.
    Letztere vor allem. Während männliches Sich-gehen-lassen unweigerlich in Richtung zügelloser Triebhaftigkeit abdriftet, bahnt sich das weibliche einen Weg unbeirrbar zum Reden über Abwesende, zumeist Frauen (Freundinnen am Rande der Frigidität, modisch bis zur Geschmacklosigkeit desorientierte Nachbarinnen, die unmöglichen Outfits der Lady Gaga) oder endet in gegenseitiger Beschimpfung, was aber heute Abend gottlob ausblieb. Gegen halb zwölf offenbarten sich Kartoffelsalat und Würstchen als restlos vertilgt, versprach Hermine für die Zeit nach Mitternacht Kassler mit Kraut, erfuhren wir endlich, Jonas habe bei der »Battle« sagenhafte 37 Euro gewonnen (und danach am Geldspielautomaten umgehend wieder verloren), das Ganze untermalt vom überproportional wachsenden Lärm gezündeter Feuerwerkskörper, die am sternenklaren Himmel der eisigen Nacht farbige Wunden rissen und die Luft so lange mit Dampf schwängerten, bis er als Pulvergeruch durch die undichten Fenster zu uns hineinzog.
    Gegen zwanzig vor zwölf klingelte Oxanas Handy, Marxer. Wir hatten auch ihn zu unserer Silvesterparty eingeladen, allerdings zu unserer Beruhigung ohne Erfolg, der Meister wollte das alte Jahr in der Abgeschiedenheit seines Elfenbeinturms Revue passieren lassen und war nun endlich dort angelangt, wo ihn Oxana schon seit halb elf vermutete: beim weinerlichen Selbstmitleid.
    Die kluge Kasachin tröstete ihren Dienstherrn in mitfühlender Kleinkindsprache – »Du, du, mein großes Baby muss immer fest an sich glauben und darf nicht heulheul machen« –, erwähnte auch, ein Schamane aus der großen zentralasiatischen Steppe habe ihr via Skype geweissagt, Marxer komme dieses Jahr in die engere Wahl bei der Nobelpreisvergabe, »wenn schon eine schlamperte Wiener Theatertussie das Ding bekommen hat, kriegst du das die nächsten zehn Jahre im Abonnement«, wünschte ein frohes Neues und beendete das Gespräch mit einem hingehauchten »Tschüss, mein starker Pegasus« und einer komischen Grimasse, die uns Anwesende zum Lachen brachte.
    So vergaßen wir für einige Stunden das Ernste unseres Daseins, die Gefahr, in der wir alle schwebten, die Allgegenwart des Verbrechens, die Kurzsichtig keit unserer Politiker, die unsere eigene war, den ärztlichen erhobenen Zeigefinger bei

Weitere Kostenlose Bücher