Die Edwin-Drood-Verschwörung 1 - 300 (German Edition)
auf das Klingelbrett und schon weiß ich, wo Lothar wohnt und wie er mit Nachnamen heißt. All das hätte ich zweifellos getan, wäre nicht mein Blick auf einen am gegenüberliegenden Bürgersteig geparkten Wagen gefallen, hinter dessen schneebedeckten Fensterscheiben für eine Sekunde ein Feuerzeug angeknipst worden war.
Vielleicht hatte ich mich getäuscht. Nicht was das Aufflackern des Feuerzeugs betraf – in solchen Dingen irre ich mich nie – wohl aber über meine sofort assoziierenden Gedanken, die einen Mann imaginierten, der im von der Standheizung hinreichend erwärmten Inneren des Wagens auf Lothar gewartet hatte. Unsinn. Mochte sein, dass dort ein Berufskollege von mir in einem anderen Fall tätig war, außereheliche Aktivitäten zum Beispiel. Er schlug sich die Nacht um die Ohren, während in einer der Wohnungen jener berühmten Dr-Rüdiger-von-Seckendorff-Allee ein untreuer Ehemann auf einer 24jährigen lag und pausenlos an eine 42jährige dachte, die keinesfalls ein langes blondes Haar auf seiner Jacke finden durfte. Und war das nicht überhaupt des Rätsels Lösung? Lothar und Sonja Weber hatten ein Verhältnis, die Geliebte schaut ihrem Liebhaber beim Verlassen des Hauses traurig nach, dieser wechselt die Straßenseite, um in der »Bauernschenke« bei der Co-Geliebten Helga gut Wetter zu machen, was ihm aber nicht nur in Anbetracht der Witterungsverhältnisse gehörig in die Hose, das heißt genau da hinein eben nicht ging – und ich Idiot vergeudete die Hitze meiner teuer bezahlten Glühweine an eine sinnlose Verfolgung.
Ich wechselte die Straßenseite, sah über die Schulter zu dem Haus hin, in dem Lothar verschwunden war, im 4. Stockwerk war Licht gemacht worden. Das merkte ich mir. Das Auto stand noch immer da, nichts tat sich. Jemand mochte gerade fluchen und rauchen, um dann zu rauchen und zu fluchen, das Nummernschild war nicht zu erkennen, ein dunkelblauer Fiat, so schien es mir, aber ich war schon zu weit entfernt, um etwas Genaues erkennen zu können.
Endlich – es ging auf Mitternacht zu – daheim. Ich zog mich aus, nahm eine heiße Dusche, setzte mich in Pullover und dicker Hose an den Ofen, schaltete den Fernseher an und informierte mich über den »Wintereinbruch in Deutschland«, was ich mir hätte sparen können, denn ich war ja dabei gewesen. Ein Glas Dosenwurst ging den Weg aller Dosenwurst, durch die Kälte meines Körpers nämlich, die auf jenen Fraß pfiff und nicht daran dachte, die Kurve zu kratzen. Ich suchte die ganze Wohnung nach Alkohol ab, fand keinen. Betrachtete ziemlich unbeteiligt einen Boxkampf, der in Runde 2 durch einen Magenschwinger beendet wurde. Geriet in eine Talkshow mit Heiner Geißler, mit wem auch sonst. Erfuhr, die Fußballweltmeisterschaft 2022 finde in Katar statt. Nahm mir vor, die Wahrscheinlichkeit der Existenz eines Staates mit diesem Namen zu überprüfen. Warf mich sodann ächzend in meinen Schlafanzug und unter die Bettdecke, zitterte eine Weile vor mich hin, dachte noch mal an diesen merkwürdigen Tag, träumte dann von ihm, erwachte und ging aufs Klo, denn die fünf genossenen Glühwein hatten genug von Moritz Klein und woll ten ihn schleunigst verlassen. Ich verstand das. Ich beneidete sie um diese Möglichkeit.
18
Der Sonntag war ein Sonntag. Ich verließ das Bett nur zu Zwecken des Im- und Exports, was mich an den Montag denken machte, ein unwill kommener Umstand, denn an Sonntagen verdrängte ich nicht nur die Niederlagen der vergangenen Woche, ich versuchte auch, die der folgenden gar nicht erst zur Kenntnis zu nehmen. Ich bin sicher, so praktiziert es auch die Bundeskanzlerin. Sie liegt im Bett und überlegt sich, ob sie das Wort Klimawandel schon mal gehört haben könnte oder vielleicht doch in Zukunft besser nicht hören sollte.
Draußen lag Schnee. Ich hasse Schnee. Ich hasse auch Dosenravioli. Jetzt saß ich aufrecht im Bett, gabelte Dosenravioli und sah aus dem Fenster auf nichts als Schnee, Schnee, Schnee. Es hatte Sonntage gegeben, an denen es mir deutlich besser gegangen war, Sonntage mit Dosenravioli und Dauerregen.
Ich las ein Buch, einen recht lustigen Krimi, in dem der Komiker Groucho Marx den mysteriösen Tod eines Starlets aufklärt. Wir waren ja nun quasi Kollegen, Marx der bessere Komiker, aber dafür weilte ich noch unter den Lebenden. Das Buch hatte ich mir direkt vom Verleger mit der Lüge erschwindelt, ich sei ein Krimigroßkritiker. Auch das war ein Teil der Strategie, meine Ernährungssituation zu
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