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Die Edwin-Drood-Verschwörung 1 - 300 (German Edition)

Die Edwin-Drood-Verschwörung 1 - 300 (German Edition)

Titel: Die Edwin-Drood-Verschwörung 1 - 300 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dieter Paul Rudolph
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mir stammte, aber nichtsdestotrotz richtig war.
    »Entscheiden Sie in aller Ruhe, ob Sie Mitglied werden wollen«, empfahl das fröstelnde Fräulein und ratterte die ihr eingebläuten Argumente pro Hartz IV herunter. »die Lizenz, Ehefrau und Nachkommenschaft zu verprügeln, freier Zugang zum Alkoholikerstatus, ein Ehrenplatz an Tafeln und in Suppenküchen, ein befriedigendes finanzielles Auskommen bei hinreichendem Talent zum Sozialbetrug...«
    »Danke«, unterbrach ich sie, »aber heute habe ich leider noch etwas anderes vor. Ich komme auf Ihr Angebot gewiss zurück.«
    Sie lächelte mich dankbar an, vollführte einen putzigen Wärmtanz und drückte mir zum Abschied sieben Broschüren in die Hand. Ich nahm sie und ver staute sie in meiner Jacke, nickte noch einmal und stieg die vier Stufen zum Container hoch.

21
    Acht robuste Plastikstühle standen an der Wand des Warteraums und wurden von acht sprachlosen Männern besetzt. Sie sahen nicht aus wie Repräsentanten des britischen Oberhauses, aber gleich würde auch nicht die Queen erscheinen, sondern Herr Wilke von der Arbeitsagentur mit den täglichen Jobofferten, ein im Dienste des Tagelöhnertums ergrauter Herr, Beamter des mittleren Dienstes und entsprechend vom Leben enttäuscht. Ich stellte mich an den Eingang, sagte mein »Guten Morgen« auf, erhielt es achtfach nicht zurück und spielte mit dem Gedanken, das freundliche Angebot des ARGE-Fräuleins wenigstens als diskutabel in Betracht zu ziehen. Aber was hatte ich erwartet? Wer hier saß, hielt Knigge bestenfalls für den Erfinder eines ähnlich benannten Brotes.
    Ein Mann, der aufrecht wie nur je ein Fürst inmitten seiner Vasallen thronte, fiel mir auf. Ich kannte ihn nämlich. Er ging stramm auf die Sechzig zu, trug das Haar als unentwirrbar ineinander verschlungene Wollknäuel auf dem Kopf, diesen wiederum auf einem Nichts von Hals, der aus einem »Ohmeingott!« von Rumpf wuchs, den man nur als fleischgewordene Vision einer perfekten stählernen Tonne bezeichnen konnte. Dieser Rumpf mochte unter zwei verschlissenen Jacken nicht mehr genau zu definierenden Farbtons, vier baumwollenen Ober- und einem Halbdutzend löchriger Unterhemden verborgen sein, doch seine Muskeln pochten sichtbar, fast hörbar, wie mir schien, wenn ich den Atem anhielt und lauschte. Derweil sein Antlitz – und um ein solches handelte es sich unbezweifelbar – regungslos und stolz blieb, das Antlitz eines Helden der Gelegenheitsarbeit, an dem alle Irrungen und Wirrungen des postmodernen Kapitalismus spurlos vorbeigegangen zu sein schienen.
    Ich erinnerte mich: Das war Leopold Regitz, der König unter den Tagelöhnern, Pate der Verlierer des Arbeitsmarktes, von ellenlanger Spitznase beschatteter Lippenwulst beeindruckenden Ausmaßes, durch den von Zeit zu Zeit eine leuchtend rosa Zunge hervorlugte und wie ein Pendel von einem Mundwinkel zum anderen schwang, nein, patrouillierte.
    Wir mussten nicht lange auf das Erscheinen von Herrn Wilke, dem für uns zuständigen Sachbearbeiter warten. Er trat, ein Tablett balancierend, aus der zuvor unter Mühen geöffneten Tür seines Büros, beförderte das Tablett, auf dem eine große Tasse Cappuccino vor sich hin dampfte, flankiert von einem duftenden Croissant, einem Messer sowie einer Hotelportion Butter, zu Regitzen hin, der es ihm freundlicherweise abnahm.
    »Hier, Herr Regitz, das Croissant ist ganz frisch.«
    Regitz musterte den Cappuccino und verzog ein wenig das Gesicht.
    »Ist das wirklich aufgeschäumte Milch oder doch Sahne?«
    Seine Stimme hatte ein überraschend ausgewogenes Volumen, er hätte auch die Nachrichten in der Tagesschau verlesen können.
    »Aber natürlich, Herr Regitz, ganz leckere Milch«, beeilte sich Wilke zu versichern und verlor keine Zeit, sich in das Schützende seines Büros zurückzuziehen.
    »Sonst hätte ich auch gleich draußen bei der ARGE-Schlampe mir ne Tasse Muckefuck einpfeifen können.«
    Wilke lachte verkniffen und kratzte sich am Kopf.
    »In Ordnung, ich wills mal glauben«, sagte Regitz, stellte das Tablett mit schwindelerregender Elegance auf seinem Schoß ab und begann schmatzend mit dem Frühstück. Diese Hingabe wurde nur gelegentlich durch einen zunächst ungeduldigen, sodann immer ärgerlicher werdenden Blick zum Eingang hin unterbrochen. Regitz wartete auf jemanden.

22
    Regitz arbeitete am letzten Bissen seines bebutterten Croissants, als sich die Tür öffnete und ein kleiner, sehr scheckig gekleideter Mann eintrat. Etwas aus dem Leim

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