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Die Edwin-Drood-Verschwörung 1 - 300 (German Edition)

Die Edwin-Drood-Verschwörung 1 - 300 (German Edition)

Titel: Die Edwin-Drood-Verschwörung 1 - 300 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dieter Paul Rudolph
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Entrüstung, gleich würde er »Fass!« sagen und Wilfried sich wünschen, niemals als Dackel geboren zu sein. »Ich drück noch mal ein Auge zu«, sagte ich und drehte mich um. Denn die Tür der »Bauernschenke« hatte einen Laut von sich gegeben und tatsächlich trat Lothar heraus, wandte sich nach rechts und schritt stadteinwärts.

16
    Ich hielt mich sichere 20 Meter hinter Lothar, der den Weg in die Fußgängerzone eingeschlagen hatte und keine Anstalten machte, sich nach möglichen Verfolgern umzuschauen. Zentimeterhoch lag der Schnee auf den Bürgersteigen, meine Halbschuhe versanken in Nässe und eisiger Kälte, wacker kämpf ten fünf Glas Glühwein, die sich in meinen Füßen abgelagert zu haben schienen, gegen die Unbilden der Witterung, doch mit jedem Schritt verloren sie an Terrain. Der Frost umzingelte auch meinen Kopf und schickte erste Vorauskommandos durch sämtliche Öffnungen, die Avantgarde kämpfte sich körperabwärts und würde sich in wenigen Minuten auf Höhe meiner Hüften mit der Soldateska von der Fußfront vereinen. Diesen Zweifrontenkrieg konnte ich nur verlieren, aber es tröstete mich, dass es Lothar nicht besser ergehen würde.
    In der Fußgängerzone herrschte das, was man samstäglichen Spätabendbetrieb nannte, also ziemlich tote Hose. Zwei Jugendliche mit Migrationshintergrund waren an einer Laterne hochgeklettert und gerade dabei, eine über die Straße gespannte weihnachtliche Lichterkette aus der Verankerung zu lösen, angespornt von vier Personen ihresgleichen, die sich ob dieser gelungenen In tegration in die bundesdeutsche Gesellschaft aus vollen Kehlen freuten. Ich war gerührt. Lothar ging achtlos an diesem gelungenen Beispiel von Teilhabe an christlicher Weihnacht vorbei, selbst aus dieser Entfernung war mir, als hörte ich ihn grübeln. Er hatte das Kinn auf die Brust gesetzt und schlug sich barhäuptig durch die Widrigkeiten der Witterung, überquerte den Marktplatz, wich engumschlungenen Pärchen, streunenden Hunden, wartenden Zuhältern und einer Gruppe älterer Herren aus, die in einer Schneeballschlacht Stalingrad nachspielten. Diesmal sollte der Russe nicht gewinnen. Ich erinnerte mich, dass man in der Bundeswehr jetzt auch eine Gefechtsmedaille bekommen konnte, formschön am Band, machte sich als Sargschmuck immer gut. So dachte ich vor mich hin, während ich Lothar folgte, ohne zu wissen warum. Aber ist das nicht immer so? Wer jemandem folgt, weiß nie warum, jedenfalls später nicht, wenn die Scheiße endgültig dampft. Womit ich wieder bei Stalingrad und Orden war.
    Aber vor allem bei der Leitfrage meines Daseins: Was machte ich da gerade? Hatte es einen Sinn und Zweck? Konnte doch sein, dass dieser Lothar im Haus der Webers wohnte und Sonja rein zufällig aus dem Fenster geschaut hatte, um den Flug der Flocken mit melancholischem Blick still zu begleiten. Lothar geht noch einen trinken, hofft auf einen Beischlaf mit Monika, erhält eine Abfuhr und beschließt, die dringend notwendige Entladung in einem bordellähnlichen Betrieb mit professioneller Unterstützung vorzunehmen. Und tatsächlich näherte er sich dem Rotlichtbezirk, der aus zwei gegenüberliegenden Häusern bestand, vor denen aber witterungsbedingt nicht das Fleisch paradierte und darauf wartete, einer der beiden soeben näherkommenden Schneemänner unterbreite ihm ein unmoralisches Angebot.
    Lothar wurde langsamer, blieb aber nicht stehen. Ein Fenster öffnete sich, ein blonder Kopf streckte sich heraus, etwas wurde gesprochen, doch Lothar ging weiter, wurde schneller. So passierten wir den Ort der Sünde, ohne uns zusätzliche drei Monate Fegefeuer einzuhandeln.

17
    Unser kleiner Rundgang durch die Stadt endete in einer Straße mit dem imposanten Namen »Dr-Rüdiger-von-Seckendorff-Allee«, an der sich Häuser der Gründerzeit anachronistisch in den Schneehimmel reckten. Dies jedenfalls ent nahm ich der Infotafel am Straßenschild, »einzig erhaltenes Gründerzeitensemble unserer Stadt«, und fragte mich unwillkürlich, was denn hier gegründet worden war. Vielleicht ein Verein zur Förderung elend langer Straßennamen unter Betonung falscher Tatsachen, denn es gab keinen einzigen Baum in dieser Allee und es sah nicht so aus, als hätte es jemals einen gegeben.
    Lothar verschwand in einem Hauseingang und gleich darauf wurde das Flurlicht angeknipst. Ich hatte vor, lässig vorbeizuschlendern, mir eine zu drehen und zu warten, bis auch das Licht in einer der Wohnungen aufleuchten würde. Ein Blick

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