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Die Edwin-Drood-Verschwörung 1 - 300 (German Edition)

Die Edwin-Drood-Verschwörung 1 - 300 (German Edition)

Titel: Die Edwin-Drood-Verschwörung 1 - 300 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dieter Paul Rudolph
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nichts.
    Vika würde bleiben. »Ich muss rüber nach Jersey«, sagte sie. Noch einmal fragte ich »Warum?« und noch einmal antwortete Vika, diesmal stumm mit einem Handschlag auf die Bettdecke. Gegen acht hockten wir im Frühstücksraum, immer noch stumm. Schließlich sagte sie: »Ich werde hier noch zwei, drei Tage die Augen offen halten. Das ist mein Job. Ich bin Privatdetektivin und bisher hab ich meinen Job scheiße gemacht.«
    Das erinnerte mich an etwas. Ich erzählte ihr von Georg Weber und der tragischen Liebesgeschichte, von jenem erpresserischen Privatdetektiv, der mitgeholfen hatte, ihn von seiner Geliebten zu trennen. Der Typ mit dem komischen Namen.
    »Kann nur Winfried Schnüffel sein«, sagte sie, »lach nicht, der heißt wirklich so.« Ich lachte nicht. »Dem haben sie längst die Lizenz entzogen, betrügerischer Bankrott und ein paar andere Sauereien, ich glaube auch, er hat deswegen im Gefängnis gesessen. Keine Ahnung, wo er jetzt ist und was er macht. Glaubst du es lohnt sich, mit ihm zu reden?« Ich wusste es nicht. »Kümmere dich um diese Lydia Gebhardt. Die ist mehr als bloße Handlangerin, wenn ihr Verblichener sich hier als Franzose ausgegeben hat, was einigen nicht gefallen haben dürfte.« Hatte ich auch vor.
    Wir verabschiedeten uns mit einem innigen gespielten Kuss vor dem Hotel, der Portier grinste verständnisvoll durch die Fensterscheibe. Der Kuss war so gut gespielt, dass er schließlich ungespielt endete und wir die Tatenlosigkeit der letzten Nacht bereuten. Dann keine Zeremonien mehr. Ich nahm meine Reisetasche auf, drehte mich um und ging, hoffte, sie würde mir nachschauen. Ich hasste die Ecke, um die ich gleich gehen musste, aus Vikas Blickfeld, vielleicht aus Vikas Leben.
    Kurz vor Paris kam ich wieder zu mir. Kaufte einen Kaffee im Bordbistro, trank ihn dort langsam, verschwendete ein paar Blicke an die französische Landschaft, musterte meine Mitreisenden, trank noch einen Kaffee, ging zurück auf meinen Platz, lehnte den Kopf zurück, betrachtete die Decke. In der Gepäckablage über mir lag ein Buch. Ich stand auf und nahm es an mich, las den Titel. Es war ein Reiseführer St. Malo, schon etwas abgenutzt, ich blätterte darin. Zwischen »Die zehn größten Sehenswürdigkeiten« und »Ausflüge in die Umgebung« steckte ein aus einem anderen Buch gerissenes Blatt Papier in Ermangelung eines Lesebändchens. Ich begann zu lesen.
    »Eigentlich, sagte der Marquis, sind wir die Putzfische der Gesellschaft, wir Bösen, wir Verdorbenen, wir ganz und gar Verrotteten. Wir säubern den Leib des Großen-Ganzen von den Überresten der ästhetischen und moralischen Mahlzeiten, von den Parasiten der Religion, den Geschwüren der Sentimentalität, wir versetzen diesen Leib zurück in seinen ursprünglichen Zustand der Gewissenlosigkeit, des bloßen instinktiven Funktionierens um des Überlebens Willen. Die Welt braucht das Böse, weil es sie von allem Tand befreit, von allen Produkten, die aus dem von der Evolution geschaffenen Fehlfunktionieren der Menschheit entstehen, immer wieder neu, und so muss auch das Verbrechen sich immer wieder neu erfinden und seine Arbeit verrichten. Das, schloss der Marquis, ist die Wahrheit über das Leben. Nur das Böse bewahrt seine Existenz.«

215
    Die Heimat begrüßte mich mürrisch mit düsterem Wolkenballett und Regen, der auf meinem Schädel dazu Applaus trommelte. Ich gab den Kunstbanausen, ignorierte auch all die grauen Vorhänge um mich herum, wollte nur heim, mich hinlegen, schlafen, nichts mehr denken, die Erinnerung unter der Last der Leere in mir ersticken.
    Seit Paris hatte ich mit meinen Mädels via Internet konferiert und sie über die jüngsten Ereignisse ins Bild gesetzt. »Wumm«, schrieb Oxana treffend zurück, »aber Vika macht das schon. Die ist doch Profi und noch mal sorry, du weißt schon.«
    Vika. Ich war erleichtert, dass Hermine nicht nachhakte. Nicht schnippisch fragte, was denn das für eine sei, wie sie aussehe, ob ich etwa...nein, tat sie nicht. Stattdessen erzählte sie von ihrem neuen Job bei den Schwestern, von der Großzügigkeit des verrenteten Stammpublikums in der »Bauernschenke«, »man muss denen nur klarmachen, dass die Hände auf den Tisch oder zwischen die eigenen Beine gehören und nicht auf die Arschbacke der Servicekraft. Und sonst geht’s dir gut?«
    Gut war etwas anderes. Ich war sitzplatzmäßig in ein Rudel Finanzhaie geraten, die aus Gründen vorübergehender Sozialromantik in der 2. Klasse fuhren und

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