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Die Edwin-Drood-Verschwörung 1 - 300 (German Edition)

Die Edwin-Drood-Verschwörung 1 - 300 (German Edition)

Titel: Die Edwin-Drood-Verschwörung 1 - 300 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dieter Paul Rudolph
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den griechischen Fast-Staatsbankrott diskutierten. »Wenn Schäuble tat sächlich die privaten Anleger zur Kasse bittet, sorgen wir dafür, dass die Rollstuhlpreise ins Bodenlose steigen!« Diese Drohung wurde allgemein begrüßt und der dabei zu erzielende Profit über den Daumen berechnet. »Ich hab meine Eigenkapitalrendite von 250 % auch noch nicht wieder drin«, greinte ein anderer. Sofort wurden ihm barmherzige Tempotaschentücher gereicht. »Und immer dran denken, was Warren Buffett einmal gesagt hat: Wir befinden uns im Klassenkampf zwischen Reich und Arm und die Reichen werden gewinnen.« Ich schloss die Augen und stellte mir eine schier endlose Reihe von Laternenpfählen vor.
    Kurz vor der Grenze erreichte ich endlich auch Irmi. Wir erzählten uns gegenseitig vom Grafen Strontium, wenigstens in diesem Punkt schien Regitz die Wahrheit gesagt zu haben, obwohl sie uns keinen Schritt weiterbrachte. Den unangenehmen Besuch jener auch mir hinlänglich bekannten sehr merkwürdigen Killer hängte Irmi wie eine Nebensächlichkeit an ihren Bericht. »War mal was anderes«, fegte sie mein Erschrecken beiseite, »ich glaube sowieso, die wollen nur im Namen der Bundesregierung Geld unter die Leute bringen, Ankurbelung der Binnennachfrage und so.«
    Das alles duschte ich mir vom Leib. Eine Stunde lang schrumpelte meine Haut in den Wasserströmen, ich wurde ein alter Mann ohne Gedächtnis, dem Element ausgesetzt. Als ich mich frottierte, kam alles zurück. Ich seufzte und legte mich auf meine Matratze, schlief sofort ein.
    Oxana hatte mich für den Abend in Marxers Villa eingeladen. Der Meister selbst glänzte durch Abwesenheit, eine kleine Lesereise in die Provinz, Buchhändlerinnen und Studienrätinnen becircen, das eine oder andere erotische Abenteuer wohl auch. Aber Sonja Weber sei schließlich wieder da – hier bekam Oxanas Stimme ein unbestimmtes Vibrieren und ich wusste genau, was passiert war. Vielleicht konnten wir dann allesamt in die »Bauernschenke« gehen, Hermine beim Arbeiten zuschauen und überdies Borsig treffen. Den habe sie zum Rapport befohlen. Eine lockere Runde zum Stand der Dinge, sozusagen, alles werde irgendwie verworrener, Marxer würde behaupten, ein Ende der Story sei noch nicht in Sicht und müsse, wie in Kriminalromanen üblich, durch einen überraschenden Showdown hergestellt werden. Den allerdings erwarteten wir nicht.
    Ich zog mich um, trank ein wenig Wasser und aß den Rest der Schokolade, die ich mir in Paris als Reiseproviant gekauft hatte. Sie schmeckte scheußlich. Draußen war es schon dunkel, ich verließ das Haus, sah mich um, entdeckte nichts Außergewöhnliches, trottete los. Der Regen hatte aufgehört.

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    Errötete Sonja Weber, als sie mir in die Augen sah? Sie hatte allen Grund dazu und es hätte ihr gut gestanden, ein Kontrapunkt zu ihrem dezenten Makeup, das ihr Gesicht in eine kaum zu beschreibende Landschaft aus Undurchdringlichkeit und Transparenz verwandelt hatte. Wir nickten uns zu, gaben uns die Hände, Oxana beobachtete uns aufmerksam. Und ja, ich gebe zu, dass es mir wehtat, als sich die Hand der Kasachin auf Sonjas Rücken legte und ihn zärtlich streichelte. Den Rücken einer Lügnerin.
    Auf dem Weg zu Marxers Villa hatte ich mich in Rage gegrübelt. Meinem Ziel, das Schicksal des verschwundenen Georg Weber zu erhellen, war ich keinen Schritt näher gekommen, wohl aber führte mich jeder Schritt weiter in den Irrgarten einer verschlungenen Geschichte. Diese Geschichte spielte mit uns. Sie benutzte uns als billige Komparserie, sie dirigierte uns, ge- und verbrauchte uns, spuckte uns, wenn wir unbrauchbar geworden waren, sofort aus, katapultierte uns zurück in das Nichts, aus dem wir gekommen waren. Hilflose Kreaturen ohne Muskeln, ohne Knochen, willfährige Schlenkerpuppen, nach allen Seiten offen wie nur je ein Schleimbeutel, formlos, grotesk.
    Bis auf Sonja Weber, redete ich mir ein. Jede Geschichte braucht eine Schöpferinstanz, und in dieser Geschichte war SIE das. Sie war die Herrin, bei ihr liefen die Fäden zusammen, an denen sie uns lenkte. Das Dumme war nur: Je deutlicher diese Erkenntnis in mir wurde, desto überzeugter war ich, mich zu irren. Je mehr ich Sonja Weber hasste, desto näher kam ich ihr, erfasste mich die Schwerkraft, machte mich zum ewigen Satelliten. Am Ende hasste ich mich selbst.
    Wir drei saßen jetzt am Tisch, Getränke vor uns, ein peinliches Schweigen zwischen uns. Endlich sagte Oxana: »Die Geschichte wird immer absurder«, und da

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