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Die Edwin-Drood-Verschwörung 1 - 300 (German Edition)

Die Edwin-Drood-Verschwörung 1 - 300 (German Edition)

Titel: Die Edwin-Drood-Verschwörung 1 - 300 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dieter Paul Rudolph
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mutige Rettungsschwimmer in die Sturzbäche des Gesichts der Weinenden. Und ich? Saß dumm daneben, ein Mann halt, der alles sofort auf die Bettebene transponiert, sich das Ganze als erotisches Beiwerk vorstellt, verlegen wird, nichts zu sagen hat und also etwas völlig Deplatziertes murmelt, so etwas wie »Wer war dieser Antonio Gramsci eigentlich? So heißt doch die Kommune, in der Irmi neulich war.«
    »Ein italienischer Theoretiker des Marxismus, zwanziger und dreißiger Jahre, wenn ich mich nicht irre«, sagte Sonja Weber, küsste ihrerseits Oxanas Stirn und befreite ihren Kopf aus dem zärtlichen Schraubstock. Von zwei Seiten wurden nur Papiertaschentücher gereicht, um die Folgen des emotionalen Klimawandels zu beseitigen. »Und was hat der mit Geldlosigkeit zu tun?« Das wusste auch Sonja nicht. Würde man herausfinden müssen. Wieder eine Spur, als hätten wir nicht längst genug davon.
    »Hast du die Telefonnummer von Krause im Kopf?« Sonja nickte Oxanas Frage ab. Habe sie. Etwas Vierstelliges, leicht zu merken. Oxana gab die Zahlen in ihr Handy ein. Wartete, wartete. »Er ist nicht da«, sagte sie endlich. Ich kapierte. »Das heißt, er könnte zum Beispiel nach St. Malo gereist sein, warum auch immer und bei dieser Gelegenheit hat er den Herrn Gebhardt totgeschlagen.« Oxana nickte. Wir trauten inzwischen allen alles zu.

219
    Wir waren weit davon entfernt, die Wahrheit zu erkennen, doch wir glaubten sie als ein undeutliches Gebilde am Horizont zu sehen. Manche behaupten, näher komme man ihr sowieso nie, selbst dann nicht, wenn sie einem auf der Nase sitzt und die Augenlider hochzieht. Aber hey, ist das hier jetzt ein Krimi oder was sonst? Auf der Fahrt zur »Bauernschenke« dachten wir jedenfalls wie die ortsüblichen Helden in den handelsüblichen Romanen. War Krause tatsächlich in die Geschichte mit dem Komplott um die Geldlosigkeit verwickelt, besaß er ein Mordmotiv. Lothar, Dr. Habicht, Gebhardt – Figuren in einem Spiel, das aus dem Ruder gelaufen war, dessen Regeln nichts mehr galten, das nach Bauernopfern verlangte, dessen König sich bedroht sah – oder dessen Königin. Mörderschach.
    Solche Überlegungen verzogen sich wie Wasserdampf in einem Sturm, als wir die »Bauernschenke« betraten. Wiewohl dieser Sturm, sobald er uns erblickte (es war wirklich ein Sturm, der sehen konnte) wie auf Kommando abflaute, die Münder, aus denen die Luft geblasen wurde, ließen ihre Tätigkeit ruhen und vergaßen, sich zu schließen. Es war ein bizarrer Anblick. Geschätzte fünfzehn Rentnermünder stellten einen Vokal nach, ein leicht in die Breite gedehntes O, an den Rändern infolge erschlaffter Haut wie ausgezackt.
    Der für Herren einer bestimmten Altersgruppe gesundheitlich bedrohliche Zustand war leicht zu erklären. Mit Oxana und Sonja hatten zwei weitere blutdruckerhöhende Substanzen den Gastraum betreten, wo das Herumwirbeln Hermines und der Wirtszwillinge bereits die Ausschüttung von Sexualhormonen an das Limit des gerade noch ärztlich Vertretbaren erhöht hatte. Hermine trug ein sehr enges Dirndl, dessen Stoff man ob der Aussichtslosigkeit, seinen Job zu tun und den Körper zu bändigen, ehrlich bedauerte. Die Zwillinge wa ren in nicht weniger enges Schwarz gehüllt, wobei »verhüllt« die Sache nicht recht treffen wollte. Kurze Röcke, die Shirts großzügig ausgeschnitten, das darin schlecht Verpackte von keinerlei Textil gehalten, was sich besonders bemerkbar machte, wenn sich die Damen bewegten. Und das taten sie unablässig, denn es war etwas los in der »Bauernschenke«.
    Oxana trug Jeans und Pulli und Anorak, was aber nichts zu bedeuten hatte. Sie konnte alles tragen, die männliche Phantasie ignorierte es automatisch und ging dem Geheimnis der verborgenen Schätze tagträumend auf den Grund. Allein Sonja Webers Kleidung entsprach den Gepflogenheiten einer gesitteten weiblichen Erscheinung, ein langer dunkler Mantel, beinahe sackartig, doch auch hier täuschte der erste Eindruck. Ich wusste nämlich, was unter dem Mantel zum Vorschein kommen würde, ein wollenes erdfarbenes Kostüm und schwarze Stiefel, deren Anblick allein einen Masochisten zur Raserei treiben konnte.
    Wir orientierten uns kurz und steuerten einen freien großen Tisch im Hintergrund an. Nun aber geschah etwas, das die Situation endgültig zum Eskalieren brachte. Hermine stürzte, kaum hatte sie mich erblickt, von der Theke her kommend auf mich zu, ergriff meinen schutzlosen Leib und drückte ihn mit einer Vehemenz

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