Die Edwin-Drood-Verschwörung 1 - 300 (German Edition)
an sich, die mir sofort den Atem raubte, so dass der Kuss, den sie mir auf die Lippen mauerte, hier nicht mehr viel ausrichten konnte. Es war wie das Vorspiel zum Vorspiel zum Sex und einer der O-Münder fiel in sich zusammen und ihm entstammelte ein tragisches, erschütterndes »Schwester, meine Tropfen, das hält doch kein Schwein aus.«
Mit den Tropfen war Steinhäger gemeint, die Zwillinge wussten das und begannen vorsorglich mit dem Füllen von fünfzehn Gläschen. Wir setzten uns, Hermine hatte mich losgelassen, aber immer noch in Griffweite, »schön, dass dir nichts passiert ist«, flüsterte sie mir ins Ohr, wo es wie »schön, dass wir uns heute Nacht die Seele aus dem Leib vögeln werden« ankam und auf vollkommene Zustimmung stieß. Dann aber riss sie sich los, denn die Arbeit rief. Fünfzehn Steinhäger wurden serviert, unsere Bestellungen aufgenommen, die O-Münder schnappten nach der Atzung und verschlossen sich endlich, um sich sogleich wieder zu fünfzehn A!s zu öffnen. Oxana und Sonja entledigten sich Teile ihrer Kleidung, sämtliche Notärzte der Stadt waren in Alarmbereitschaft.
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Borsig erschien in schmucker Uniform, wurde von einigen besonders devoten Rentnern sogleich mit »n Abend, Herr Oberstleutnant« begrüßt und nahm gravitätisch in unserer Runde Platz. Irmi, ganz ladylike in ausgebeulter Jeans, ließ nicht lange auf sich warten. Viel Neues hatten beide nicht zu berichten, dafür wurden unsere Informationen über Krause mit bedenklichem Kopfschütteln aufgenommen. »Ich ärgere mich über mich selbst«, ärgerte sich Oxana über sich selbst, »dieser Typ hat mich eingelullt mit seinem sentimentalen Gequatsche.« Ich sagte nichts dazu, dachte aber, noch sei nicht entschieden, wem hier die Krone der Schauspielerei gebühre, Krause oder doch Sonja Weber.
»Dieser Rainer ist noch verlogener«, brachte Irmi einen dritten Bewerber ins Spiel. »Ist mir doch gleich ein bisschen seltsam vorgekommen, wie die im Januar angeblich auf dem Feld arbeiten und der ganze Luxus dort und verdammt noch mal, was heißt eigentlich geldlos? Die haben doch Strom und Wasser und alles, ja, seit wann kannst das denn bei den Stadtwerken gegen Äppel und Birnen eintauschen?«
Gute Argumente. Sie werde diesen alten Schmierenkomödianten aber nicht ungeschoren davonkommen lassen, drohte Irmi, gerade als ihr Helga einen weiteren Eierlikör kredenzte. »Mensch«, sagte sie und schaute der halben Wir tin versonnen nach, »ich hab da ne total abgefahrene Idee.« Abgefahren? Borsig horchte auf, das war unbestritten sein Metier. »Der Konsul ist nicht abgefahren, der ist abgeflogen. Island oder so. Na ja, kutschier ich halt Fräulein Tochter durch die Landschaft. Gar nicht uneben, die Kleine.« Was ihm einen anzüglichen Blick Hermines einbrachte, die sich gerade vorbeugte, Borsigs darob kurz vor der Detonation befindlichen Kopf in die Zange ihrer Brüste nahm und ein frisches Bier auf den Tisch stellte.
Die Stimmung in der »Bauernschenke« näherte sich mit großen Schritten dem bekannten bürgerlichen Exzess aus Alkohol und Triebhaftigkeit. Animalisches Spießertum, wie der Soziologe hammerhart diagnostiziert, oder verkniffener Anarchismus, wie mir Hermine hätte ins Ohr raunen können, hätte sie nicht « Heute Nacht quetsch ich dich aus wie eine Zitrone, mein Lieber« gezwitschert. Ich seufzte vorfreudeselig. Sie war eine Frau im besten konsularischen Alter, zwar noch nicht ganz jene 45, mit der man im alten Rom die Konsulwürden empfangen konnte, aber allemal qualifizierter als jener justament auf der Vulkaninsel weilende Konsul Bruggink, dessen Angestellter Borsig ge rade nicht wusste, mit welcher der anwesenden Traumfrauen er zuerst schäkern sollte.
Nur Sonja Weber saß starr vor ihrem Weißwein, nippte in unregelmäßigen, längeren Abständen daran, ließ die wie zufällig ihr zuteilwerdenden Berührungen Oxanas mit wohldosiert angedeutetem Lächeln über sich ergehen, nickte höchstens oder presste eine bestätigende Konsonantenreihe an die an sie adressierten Satzenden, wenn sie, was selten vorkam, angesprochen wurde. Ich versuchte in ihren Augen zu lesen, aber sie war wie ein Fragment von Kafka, eine Seite Joyce, ein Roman von dpr, vieldeutig und vielleicht höchste Kunst oder vollkommen belanglose Schaumschlägerei. Nichts, was mich zwischen Gut und Böse unterscheiden ließ, ein missglückter Krimi also. Sie sah durch alles hindurch, hörte hindurch, die anschwellende orgiastische Stimmung prallte
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