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Die Edwin-Drood-Verschwörung 1 - 300 (German Edition)

Die Edwin-Drood-Verschwörung 1 - 300 (German Edition)

Titel: Die Edwin-Drood-Verschwörung 1 - 300 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dieter Paul Rudolph
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Karl Marx wurde plötzlich der Plüschosterhase, der mir seinen Schwach sinnssatz ins Gehirn rammelte, so dass ich mir nichts sehnlicher wünschte als schleunigst aufzuwachen, was, da ich ja überhaupt nicht schlief, nach quälenden Stunden endlich gelang.
    Mir war klar, dass ich einen Plan machen musste. Eine Agenda 2010 sozusagen, aber ich hieß nicht Gerhard Schröder und nahm mir deshalb vor, zuerst nachzudenken und erst dann zu entscheiden, was zu tun sei. Mit jener Frau Gebhardt und Lothar lag ein zweites geschwisterliches Verhältnis auf dem Tablett der To Dos. Diese Verbindung erschien mir von höchster Wichtigkeit und machte einen nächtlichen Besuch bei Gebhardt und Lonig dringend erforderlich, war also im Rahmen MEINER Agenda 2010 so etwas wie die Arbeitsmarktreform. Dass sie weniger desaströs enden würde als bei der rotgrünen Koalition, konnte ich nur inbrünstig hoffen. Es ging auf zehn Uhr zu, ich machte mich fertig und auf den Weg zu meinem Treffen mit Sonja Weber.

52
    Inmitten der älteren Damen, die im Café Böhringer vor sahnegekrönten Teilen prächtiger statistischer Tortendiagramme saßen, wirkte Sonja Weber wie die personifizierte Jugend. Etwas blass war sie. Was auch an ihrem schlichten schwarzen Kostüm liegen konnte und beides an der Trauer um Lothar, wie ich sogleich argwöhnte.
    Ich war der einzige männliche Gast im Böhringer, was gewiss an der ungünstigen Mortalitätsstatistik des Mannes an sich lag und vielleicht in jenem Diagramm, das fleißig mit Gabeln aufgearbeitet wurde, zum Ausdruck kam. Die um Rentenreformen und Haarfärbeerfahrungen kreisenden Gespräche der Damen hielten für Momente inne, man taxierte mich, verlor ob meiner relativen Jugendlichkeit allerdings schnell das Interesse, der Moment, da alles Hörbare auf eine Kaugeräuschkulisse zusammengeschrumpft war, verging und man wandte sich wieder den wichtigen Dingen des Lebens zu, all den Intrigen im Seniorenheim, den vergangenen Zeiten (prächtig), den gegenwärtigen (na ja) und den zukünftigen (zum Kotzen).
    »Schön, dass sie gekommen sind«, begrüßte mich Sonja Weber. Sie saß vor einem Cappuccino, ich bestellte mir auch einen und antwortete »Schön, dass Sie da sind«, ein blödsinniger Dialog, als stünden wir an der Reling des Fernseh-Traumschiffs. Aber mir war an diesem Morgen nicht nach Soap zumute und keine Einschaltquote kümmerte mich. Menschen wurden ermordet oder verschwanden, ein verbrecherischer Organismus bildete Synapsen heraus und vernetzte sich, das Netz umfing mich, hielt mich – und eine schwarze Spinne ohne Gesicht krabbelte auf vielen dünnen Beinchen zu mir hin, mit eindeutig ernährungstechnischen Absichten.
    Zugegeben, das war ein trivialer Strauß kitschiger Bilder, aber er erfreute mich ungemein. Ich nippte also von meinem Cappuccino, beließ den Milchbart an seinem Platz, schaute in Sonja Webers dunkle Augen, die ihrerseits in meinen zu lesen versuchten und sagte, sehr akzentuiert, very cool: »Sie haben diesen Lothar gekannt, stimmt’s?«
    Sonja Weber öffnete den Mund, als müsse sie Edvard Munch Modell stehen. Doch sie schrie nicht. Fasste sich vielmehr, schloss den Mund wieder, um ihn dann leicht zu öffnen, »Woher wissen Sie das?« zu hauchen. Irgendjemand zischte »Scheiß Rentenbeschiss« am Nebentisch, wir ignorierten den Pleonasmus und sahen uns weiter in die Augen. »Ich bin Detektiv«, sagte ich, »ich weiß alles. Naja.« Sonja Weber arbeitete sich am Versuch eines Lächelns ab, steckte es auf, sagte lapidar: »Ja, wird wohl so sein« und fügte schnell ein »Es ist aber nicht so, wie Sie denken« hinzu, dabei dachte ich gerade gar nicht. Sondern schwamm im Gewässer der Sonja-Weber-Augen, deren Spiegel mich reflektierte, einen wartenden Detektiv, der alles wusste, wenn auch meistens zu spät, wenn es sinnlos geworden war, alles zu wissen oder sinnvoll, alles schleunigst zu vergessen.
    »Ich wollte Sie nicht anlügen.« Jetzt überzog sie. Das zarte Rosa auf ihren soeben sehr bleichen Wangen hatte als Stilmittel moralischer Zerknirschung längst ausgedient, seit zu Zeiten der Finanzkrise jede Politikerbacke routiniert errötete, wenn das in ihr verpackte Kau- und Sprechwerkzeug eine Entschuldigung zu mahlen begann. Ich nickte ansatzweise, was nicht weniger bedeutete als »Reden Sie weiter, schwarzgekleidete Schöne, setzen Sie sich ein wenig schräg an den Tisch, schlagen Sie ein Bein über das andere, ich mag schwarze Strumpfhosen, das wird mich ablenken von Ihren

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