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Die Edwin-Drood-Verschwörung (German Edition)

Die Edwin-Drood-Verschwörung (German Edition)

Titel: Die Edwin-Drood-Verschwörung (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dieter Paul Rudolph
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Tür tat sich auf, die Schritte, die Kommandos schienen näher zu kommen, obwohl ich mir das einbilden mochte, panisch wie ich nun einmal war. Ich stellte mir vor, wie man die „Bauernschenke“ einkesselte, einen Kordon um sie legte, einen Strick um sie zog, als sei sie der Hals eines Lebensmüden. Ich befand mich außerhalb, das war mein Glück. Aber ich hatte gelernt, dass man Glück relativieren musste. Natürlich hatten sie mich auf dem Radar. Vielleicht gab es wirklich einen Satelliten im Weltall, der mich mit dem Hochleistungsobjektiv seiner Spionageopik auf jedem meiner Schritte begleitete. Okay, ich war außerhalb, ich war ein freier Mann. Aber ich musste HINEIN, ich brauchte einen Weg zu den Eingeschlossenen. Ich rannte weiter. Ums Karree, um die merkwürdig stillen Häuser, kaum ein gelbes Fenster, keine Dauerberieselung mit Fernsehstimmen. Nur: Schritte und Kommandos um mich herum, sie prallten gegen die Mauern, sie hallten durch die Dunkelheit, ihre Wellen trafen mich am Hinterkopf, ich wäre verrückt geworden, aber das brauchte es gar nicht mehr.
    So näherte ich mich auf Um- und Schleichwegen dem Wirtshaus, meine Ortskenntnisse waren rudimentär, mein Orientierungssinn von Natur aus desaströs, ich peilte übern Daumen – und konnte nicht ganz falsch liegen. Schielte um die Ecke, sah eine Meute vermummter Menschen über die Straße hetzen, sie bildeten eine Reihe, hatten Helme auf und Schilder vor den Brüsten. Martialisch, na klar, was hatte ich anderes erwartet. Hier spielte die Macht mit ihren Muskeln.
    Ihr kriegt mich nicht, ihr verfluchten Säue! In diesem Teil der Stadt gab es noch Hinterhöfe, die durch Mauern voneinander getrennt waren, Mauern, die ich irgendwie überwinden musste. Aber zunächst: In einen der Hinterhöfe gelangen. Ich probierte alle Haustüren, abgeschlossen, abgeschlossen, abgeschlossen. Ich hatte keine Chance, ich würde auf gut Glück irgendwo klingeln müssen. Abgeschlossen, abgeschlossen – offen. Ich zwängte mich durch den Spalt, bloß keine unnötige Bewegung, bloß kein unnötiges Geräusch.
    Stockdunkel. Man bräuchte eine Taschenlampe, aber ich jedenfalls hatte keine. Ich hatte ein Feuerzeug, weil ich Zigaretten hatte. Ich lehnte mich gegen die kalte Wand, ich rauchte, ich atmete schwer, ich spürte die Kälte durch meine Haare in den Hinterkopf schlüpfen, meine Beine zitterten. Ich warf die Kippe von mir, sie zischte im Schnee ihr kurzes ungesundes Leben aus. Weiter.
    Weiter? Der Hinterhof, unberührter Schnee. Der wenigstens für leidliche Beleuchtung sorgte. Die Mauer, über die ich zu klettern hatte, war wie befürchtet höher als ich, ich schob eine Mülltonne davor, ganz langsam, ganz leise, der Deckel war total vereist. Ihn öffnen, den Gestank aushalten, mit dem Feuerzeug hineinleuchten. Plastiktüten, zerlesene Zeitungen, rausholen, Deckel zu, Tüten und Papier drauf. Ob ich dadurch festen Stand hätte? Ich musste es riskieren, man muss im Leben immer etwas riskieren. Keine Ahnung, wie ich auf den Deckel kam, mich festkrallte, hochzog, bäuchlings auf der Mauer lag. Wo mich die Erkenntnis überraschte, es sei zwar nett, eine Mauer erklommen zu haben, man müsse aber auch wieder runterkommen. Zweimeterfünfzig, geschätzt. Die Beine auf die andere Seite der Mauer kriegen. Festhalten. Runterrutschen. Loslassen, fallen. Unten aufkommen, versuchen, die Balance zu halten. Ich landete auf dem Arsch. Schönes Bild.
     
     
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    Was war nur mit den Rentnern los? Wo blieben die? Bestellten einen „afrikanischen Abend“ und jetzt köchelte das leckere Essen traurig vor sich hin. Alte Leute! Sprunghaft und unzuverlässig. Den nächsten Generationen kaltlächelnd gigantische Schuldenberge hinterlassen, zu allem eine Meinung haben und ungefragt in die Welt hinaus pusten, im Fernsehen sich notorisch volkstümliche Sendungen angucken. Moritz tauchte auch nicht auf. Aber kannte man von dem ja schon.
    „Meldet sich nicht“, sagte Hermine und schaltete ihr Handy aus. Sollte sie sich Sorgen machen? Das wurde zum Dauer- und Normalzustand, das nervte irgendwie. Aber Sorgen machte sie sich dennoch. Die anderen hörten ihr kaum zu. Starrten auf die Flimmerkiste, jetzt auch tanzende Menschen in Athen, sie hatten das Regierungsviertel umzingelt und waren selbst von Polizisten umzingelt, Uniformierten hinter großen Schutzschilden, die Gummiknüppel parat, aber noch nicht im Einsatz. Hier und da zuckte einer im Rhythmus des Gesangs aus abertausend Kehlen. Die Menschen

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