Die Edwin-Drood-Verschwörung (German Edition)
abgelenkt worden, einem merkwürdig asexuellen Kleidungsstück, das die Feuchtgebiete auszutrocknen fähig war, indem der Betrachter einfach ein Schoßgebet gen Himmel schickte. Dann aber begann Maybrit zu sprechen, eine Frau in enger Jeans, mit schwarzen Heels, einer weißen Bluse. „Bundespräsidentenwahl als Krimi? Das ist heute Abend unser Thema. Aber wo anfangen? Bei Bestechung und Korruption, Vorteilsnahme und Freundschaftsdienst? Medienintrige oder gar... einem Tattoo?“
„Nein, bei Theodor Heuss!“ meldete sich Hildegard Hamm-Brücher zu Wort, „der hatte nämlich KEIN Tattoo, dafür verbürge ich mich mit meinem guten Namen!“ Heiner Geißler konnte sich ein Schmunzeln nicht verkneifen. „Nicht alles, was im Verborgenen blüht, ist schlecht, liebe Frau Habrüü. Denken Sie nur an Bahnhöfe unter der Erde. Ist doch nicht unbedingt schlecht, oder?“ Schmunzeln auch bei Maybrit Illner, die sich Sibylle Traunstein zuwandte. „Da haben wir ja eine Fachfrau in der Runde. Sibylle Traunstein, sie sind Hausfrau...“ – „Alleinerziehende Mutter“, korrigierte die sofort, hielt ein wenig inne und wartete auf den Applaus, der auch mit einiger Verzögerung kam. „Soviel Zeit muss sein“, sagte Maybrit Illner und weiter: „Sie als alleinerziehende Mutter – würden Sie es Ihrer Tochter erlauben – Sie haben eine, wir haben das recherchiert -, sich ein Tattoo stechen zu lassen?“ Sibylle Traunstein überlegte angestrengt und sichtbar. „Nun ja... wenn Sie mir versprechen würde, später einmal keinen Bundespräsidenten zu heiraten... Ich meine: Eine Rose über dem Steiß, das ist noch kein Arschgeweih, oder?“
„Theodor Heuss...“ versuchte die Hamm-Brücher das Gespräch an sich zu reißen, wurde aber von Charlotte Roche unterbrochen. „Ich hatte mal ein doppeltes Intimpiercing, also linke Schamlippe und Perlchen, aber musste ich wieder rausmachen, hat sich leider entzündet.“ Allgemeines Entsetzen. „In Stuttgart hat mal ein Wasserwerfer so draufgehalten, dass einem jungen Mädchen der Ring aus der Nase gerissen wurde. Muss man sich mal vorstellen“, stellte sich Heiner Geißler vor. Und murmelte grübelnd nach: „Ich meine, wie unverantwortlich ist das denn, mit nem Nasenring zu einer Demo zu gehen?“ „Theodor Heuss...“ „Hatte keinen Nasenring?“ Rhetorische Frage der Illner, die sich jetzt Marxer zuwandte.
„Ich begrüße in unserer Runde auch den bekannten Kriminalautor Konstantin Marxer. Herr Marxer – Tattoos. Das waren früher die Merkmale von Verbrechern, leichten Mädchen und Seeleuten. Heute stehen sie für die Moderne schlechthin, für high life, für... Wie sehen Sie als Krimiautor diesen Trend? Wie beeinflusst er Ihr Schreiben? Und, bevor Sie mir diese Fragen beantworten, nur ganz kurz, damit wir uns das besser vorstellen können: Was ist das überhaupt, ein Krimi?“
Scheiße, dachte Marxer. Sie erwischt mich sofort auf dem falschen Fuß, die Alte. Ich muss jetzt was sagen. Ich muss mich zuerst mal räuspern. Er räusperte sich. Versuchte zu lächeln. Sagte dann: „Tja, liebe Frau Illner... der Krimi. Was ist das?“ Die Frage zu wiederholen, war ein guter Trick. Aber er brachte nicht mehr als zwei Sekunden.
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Was quatschten die da? War er schon so besoffen, dass er nur noch Scheiße hörte, auch dort, wo gar keine Scheiße sein durfte, im Fernsehen nämlich, bei Maybrit Illner, die wieder einmal scharf aussah, so scharf, dass er, wenn ihn Frauen interessiert hätten, sich vorstellen würde, mit ihr... okay, die Kleine im braunen Cordanzug war auch nicht übel. Aber diese verbale Scheiße! Der Mann schüttelte sich. Tattoos! Bundespräsidenten! Und die anderen im Gastraum hingen denen an den Lippen! Und jetzt, ja jetzt, jetzt redete auch dieser Typ da! Dieser Typ, dem man den arroganten Schnösel auf hundert Kilometern Entfernung ansah, dieser Krimiautor. Hehe, aber der würde sich blamieren. Der blamierte sich schon, bevor er überhaupt die Klappe aufbekam.
„Äh“, sagte Marxer noch einmal, „die Kriminalliteratur, äh, also“ – leichtes dezentes Hüsteln in die Hohlhand – „also allgemein der Krimi, äh“ – jetzt bloß nicht die Nase hochziehen – „die Verbrechensmedien, um es einmal so auszudrücken“ – warum schaute die Illner plötzlich so pikiert? – „kurzum: noch einmal: äh: Krimis.“ „Jaaaa?“ dehnte die Illner und die Roche schlug gelangweilt ein Bein über das andere, blinzelte zu Geißler hin, der sofort Haltung
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