Die Edwin-Drood-Verschwörung (German Edition)
liegt in Ihrem eigenen Interesse, wenn Sie das nicht wissen – noch nicht wissen.“ „Oha“, sagte ich, „und weswegen sind Sie hier?“
Er schenkte mir Kaffee nach. „Sehen Sie“, begann er endlich, „ich stamme aus einem sehr alten Adelsgeschlecht. Die von Wollzogens waren vielleicht noch nicht bei der Schlacht im Teutoburger Wald dabei, aber die Völkerschlacht zu Leipzig haben Sie munter mitgemacht und auch in Stalingrad haben sie ihren Blutzoll... nun ja, lassen wir das. Was ich damit sagen möchte: Wir haben unsere Pflicht für das Vaterland getan, ganz egal, wer gerade regierte.“
„Da haben Sie aber einige Male ganz herrlich die Arschkarte gezogen“, konterte ich knapp und von Wollzogen-Dünnbier nickte abermals nachdenklich. „Könnte man so ausdrücken, ja. Pflichterfüllung ist eines der Opfer, die der Adel bringen muss. Selbst heutzutage, wo man mit einem „von“ vor dem Namen keine Burgen mehr bauen und Kaufleute überfallen darf, hat sich das nicht geändert. Wenn wir nicht mehr bedient werden, müssen wir halt dienen, das sind nur zwei gegensätzliche Formen ein und derselben Sache. Sie als Bürgerlicher können das vielleicht nicht verstehen – obwohl: Ich schätze Sie anders ein. Auch Sie tun ja nur Ihre Pflicht, oder?“
Fangfrage. Ich verzehrte gemächlich mein Salamibrötchen und ließ mein Gegenüber auf die Antwort warten. Unter anderem deshalb, weil mir keine vernünftige einfiel. „Sie sagen nichts?“ fragte von Wollzogen-Dünnbier, „nun, ich bin mir dennoch sicher, dass es so ist. Wären Sie sonst – erlauben Sie mir den Fäkalienausdruck – so knietief in der Scheiße, wie Sie es unbestreitbar sind?“
Ich erlaubte und nickte. Wer in meinen Gedanken lesen konnte, der hatte auch mitgekriegt, dass ich mich seit geraumer Zeit mit allem anlegte, was mir in die Quere kam. Und das war eine ganze Menge.
„Nun ja“, fuhr der Butler fort, „lassen wir das. Ich möchte Sie auch nicht weiter mit meiner Familiengeschichte langweilen, nur noch so viel: Die von Wollzogen-Dünnbiers sind für Ihre Überzeugungen auch gestorben. Das ist ein hoher Preis, aber man entrichtet ihn mit Freuden, wenn es dem Vaterland dient.“
Das wurde mir denn doch einen Schluck zu patriotisch. „Wie kommen Sie eigentlich zu dem Namen Dünnbier?“ fragte ich beiläufig. Der Gefragte wurde ein wenig verlegen. „Nun, um ganz ehrlich zu sein: Mein Großvater, ein unverächtlicher Mann, hatte eine Schwäche für Dienstmädchen. Na ja, das haben die meisten Adligen, aber mein Großvater nahm es mit dem Pflichtbewusstsein ein wenig zu genau und hat das von ihm geschwängerte Dienstmädchen, eine Louise Dünnbier, geehelicht. Nicht nur das: Er hat auch ihren Namen an seinen gehängt, was ihm die Verwandtschaft nie verziehen hat.“
Ich hatte mein Frühstück beendet und spülte mit dem letzten Rest des vorzüglichen Kaffees nach. Sagte dann: „Gut. Sie wollen mir Ihren Arbeitgeber nicht nennen, wofür ich Verständnis habe. Sie erzählen mir etwas vom Pflichtbewusstsein Ihrer Familie, was ich auch gut verstehen kann. Nur: Was wollen Sie eigentlich von mir?“
Jetzt lächelte mein Besucher. „Nichts Unmögliches oder gar Verwerfliches. Nur folgendes: Wären Sie bereit, heute Abend in der von Ihnen bevorzugt frequentierten Gastwirtschaft einige Leute zu treffen? Ein unverbindliches Zusammensein, nichts Illegales. Übrigens: Erschrecken Sie bitte nicht, wenn Sie die Herrschaften sehen. Sie kennen sie alle.“
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In der „Bauernschenke“ gab es kein Hinter- oder Nebenzimmer. Wie kam der Anrufer nur auf die Idee? Monika und Helga wussten es nicht. Es gab eine Art Abstellkammer, wo ausgemusterte Tische und Stühle gestapelt waren, ein muffiger Raum, den sie eigentlich als Raucherzimmer hatten anbieten wollen, aber war ja inzwischen ebenfalls verboten. „Okay“, hatte der Anrufer nur gesagt, „ich miete den Raum. Was soll es kosten?“ Da waren sie doch böse geworden. Konnte nur ein schlechter Scherz nein. „1000?“ fragte der Anrufer und die Zwillinge schauten sich verblüfft an. Klar, war ein Scherz. Der Anrufer solle sich verpissen, giftete Monika ins Telefon. Der verpisste sich keineswegs, sondern sagte: „1500. Und wir machen auch ne gute Zeche. Fast alle Teilnehmer unseres kleinen Konvents sind begnadete Säufer.“
Konvent? Der Anrufer erklärte es ihnen. „Ja, der Konvent der Doppelgänger. Ich rufe an im Auftrag der internationalen Gesellschaft der Doppelgänger aus
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