Die Edwin-Drood-Verschwörung (German Edition)
zwinkerte Rüchel zu. Hey, den schaffst du mit links. Nimm noch ein paar andere mit, damit sich die Sache für mich lohnt. Rüchel zwinkerte zurück. Geht klar, Alter, kannst dich drauf verlassen.
*
Die Sau fraß Rührei. Rührei! Schmeichel schüttelte sich vor Ekel. Nein, keine Sentimentalitäten jetzt. Er würde ihn heute umnieten, der Kerl ging ihm schlicht und ergreifend auf sämtliche Kekse. Eine Schande für den Berufsstand, ließ sich von alten Frauen anstechen. Einfach kurz und schmerzhaft aus dem Weltgetriebe entfernen. Das musste sein, das verlangte die Ästhetik des Berufsmördertums.
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Oh nein! Er hätte doch wissen müssen, dass alle Frauen neugierig sind und alte Frauen besonders! Irmi, die ach so geschockte Irmi, stromerte munter und fröhlich durch Marxers Villa, ließ auch des Meisters Arbeitszimmer nicht unangetastet und kam, kindisch giggelnd und einen Zettel schwingend, in die Küche, wo sich der Meister bei einer Tasse eigenhändig aufgebrühten Kaffees von der Schwere und Komplexität seiner geistigen Arbeit erholte. „Das ist jetzt aber nicht dein Ernst, oder?“ platze Irmi heraus. „Emily Pluster? Du willst als Frau Krimis schreiben? Wie abgefahren ist das denn!“
Er hasste es, wenn alte Frauen wie junge Mädchen sprachen. Gleich würde sie das Ganze noch „eine hammer Action“ nennen und einen „Lachflash“ bekommen. Marxer seufzte. „Du solltest aber nicht in meinen Unterlagen schnüffeln“, sagte er müde und resigniert, wohlwissend, dass man die einmal in Bewegung gekommene Lawine damit nicht würde aufhalten können.
„Ach was!“ wischte Irmi das Argument souverän vom Tisch. „Wenn du auch immer alles so offen rumliegen lässt! Übrigens solltest du nicht den knalligen Lippenstift benutzen, das macht dich irgendwie nuttig.“ Marxer sackte in sich zusammen. Für einen Moment empfand er so etwas wie Sympathie für den Killer und nahm ihm übel, bei der Durchführung seines Jobs versagt zu haben. Irmi redete derweil munter weiter. „Emily Pluster ist dein Autorenname, der nom de plume, wie der Franzose sagt, ja? Und sie schreibt über eine Privatdetektivin namens Sonja Paschulke? Die aber quasi ihr alter ego ist? Und die lernt im Fernsehen bei einer Talkshow Alice Schwarzer kennen? Mann, klingt das irre!“
Marxer kam aus dem Seufzen nicht mehr heraus. „Soll ja auch irre sein“, erwiderte er matt. „Was glaubst du eigentlich, was heutzutage als Krimi gekauft wird? Ernstzunehmende Literatur? Willkommen im 21. Jahrhundert.“
„Hm“, machte Irmi nachdenklich, „da hast du wohl Recht. Aber erstens ist Sonja Paschulke ein bescheuerter Name und zweitens tritt Alice Schwarzer nicht mehr in Talk Shows, sondern nur noch in Game Shows auf, wo sie versucht, Reißzwecken auf Luftballons zu spucken, um sie zum Platzen zu bringen.“ „Interessant“, sagte Marxer und notierte sich den Einfall. Papier und Stift hielt er stets griffbereit.
„Warum verlegst du die Handlung nicht in die Zeit der Studentenunruhen? Ich könnte dir wertvolle Tipps geben.“ Marxer überlegte. So uneben war die Idee gar nicht. Eine historisch unterfütterte Gelegenheit, sexmäßig mal wieder so richtig auf die Kacke zu hauen. Und ein weiteres Tabu konnte spielend gebrochen werden: Rauchen im Roman. Letztens hatte ihm sein Lektor sogar die mildeste Filterzigarette aus dem Manuskript gestrichen, als hätte er zu Gruppensex in Kindergärten aufgefordert.
Irmi schenkte sich Kaffee ein und setzte sich zu Marxer an den Tisch. Der Dichter grübelte und sagte dann: „Hanna Krieger. Soziologiestudentin im 5. Semester, aus dem Kleinbürgertum in die Großstadt gekommen, in einem feministischen Frauenladen engagiert, sexuell irgendwie noch indifferent, zwischen den Geschlechtern schwankend. Dann geschieht ein Mord.“ „Klar“, nickte Irmi. „Und pass auf: Der Tote ist ein ehemaliges Mitglied der Waffen-SS. Nein, nicht Günter. Obwohl...“ Marxer schüttelte den Kopf. „Waffen-SS kommt nicht gut. Unternehmer. Kapitalist. Ausbeuter. Hanna Krieger gerät unter Verdacht. Oder nein: Ihre beste Freundin, Waltraud Münsinger...“ „Wie kommst du nur auf diese Namen?“ fragte Irmi nicht ohne eine Spur von Bewunderung. Marxer trank einen Schluck und reckte sich. „Tja. Literarische Anspielung. Friedrich Glauser saß in der schweizerischen Landesnervenanstalt Münsingen bei Bern ein. Werden aber nur die klügsten Rezensenten rausfinden.“ „Aha“, machte Irmi. „Und Friedrich
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