Die Edwin-Drood-Verschwörung (German Edition)
ich bin. Mein Name sagt mir nichts. Ich weiß nicht, ob ich Bauarbeiter bin oder Schlagzeuger bei den Rolling Stones. Man erzählt mir, ich sei irgendwie im Staatsdienst und für einen Orden vorgeschlagen worden.“
Gritli Moser nickte. „Ja, das stimmt. Aber Sie müssen sich doch daran erinnern, was Sie damals in der Gaststätte wollten. Was mit den Doppelgängern los war. Warum plötzlich dieser Mann mit der Maschinenpistole auftauchte, warum dieser Mann später mit durchgeschnittener Kehle in einem gestohlenen Wagen aufgefunden wurde. Warum Sie bei Facebook 13.000 Freunde haben.“
Ich setzte mich auf. „13000 Freunde? Heißt das, ich muss mir jeden Tag Einträge wie ‚Bin gerade gerade aufgestanden und habe einen Pups gelassen‘ anhören?“ Ich wurde bleich und ließ meinen Kopf ins Kissen zurückfallen. Schlimme Aussichten.
Die Polizistin lachte. „Ja, so sind sie nun einmal die sozialen Netzwerke. Je mehr Freunde man hat, desto trister wird das Leben. Aber Sie haben ein Geheimnis, ich weiß es genau. Und glauben Sie mir, ich werde es lüften.“ Lüften. Das war ein gutes Stichwort. In meinem Zimmer miefte es.
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Das Gritli Moser hatte mich schließlich verlassen, nicht ohne anzukündigen, es käme morgen wieder und werde mich auch sonst nicht aus den Augen verlieren. Was mir, wenn ich sie so im Auge hatte, nicht unrecht war. Ich machte mich lust- und appetitlos an den Verzehr meines Abendessens, an das eine mitleidige Seele einen roten Zettel mit der Aufschrift „Abendessen“ gepinnt hatte, was auch dringend nötig war, um es als ein solches zu identifizieren. Auf dem Flur quietschten die Gummireifen fahrbarer Galgengerüste, an denen Medizinflaschen hingen und in ihre Schieber transparente Flüssigkeiten tröpfeln ließen. Bizarr, das Ganze.
Abende in Krankenhäusern sind sowieso bizarr. Menschen stöhnen sich in den Schlaf oder streiten sich um die Fernbedienung, Krankenschwestern klappern mit ihren Holzsandalen über den Flur und teilen die letzten Medikamente aus. Draußen tobt derweil das Leben. Ein schwülheißer Tag war es gewesen, jetzt nahte drohend eine Gewitterfront und hustete schon mal aus der Distanz. Ich legte mich aufs Bett und betrachtete den ausgeschalteten Fernseher oben an der Wand wie einen Leidensgenossen. Eingeliefert wegen unheilbarer Neigung zum Langweilen größerer Menschenmengen.
„Darf man stören?“ Der das sagte und damit störte, war sehr leise in mein Zimmer getreten, ein Mann von solcher Mittelmäßigkeit, dass man ihn kaum beschreiben konnte. Er trug einen Sommerschlafanzug mit kurzen Hosen, die nackten Füße steckten in alten Turnschuhen, deren Schnürsenkel bei jedem Schritt über den Boden geschleift wurden. „Wenn ich störe, gehe ich sofort wieder. Mein Name ist Eduard Schick.“
Der Name sagte mir nichts und ich sagte Eduard Schick nichts. Sah nur kurz zu ihm hin, erkannte seine erschreckende Mittelmäßigkeit und widmete mich wieder dem ausgeschalteten Fernseher, der mir ein interessanteres Objekt der Betrachtung zu sein schien. „Ihre Schweigsamkeit legt nahe, dass es Ihnen egal ist, ob ich hier bin oder nicht. Sehr gute Einstellung. Ich wollte Ihnen auch nur sagen, dass ich Ihren Fall sehr aufmerksam in der Presse verfolgt habe. Und als ich erfahren habe, dass Sie aufgewacht sind… Darf ich Sie etwas fragen?“
In diesem Moment krachte der erste Donnerschlag über uns, zwei Blitzlichter fotografierten unser Erschrecken. „Fragen Sie“, sagte ich, als es wieder ruhig geworden war. „Danke“, sagte Schick und setzte sich auf den Besucherstuhl. „Und nicht böse sein. Sie müssen die Frage natürlich auch nicht beantworten.“ Ich verkniff mir die Antwort, dass ich das auch gar nicht vorhatte.
Schick räusperte sich. „Wissen Sie, ich bin nicht immer so neugierig gewesen. Aber ich habe nicht mehr lange zu leben. Deshalb ist es mir egal, was die Leute von mir denken. Ich frage sie alle, die größten Belanglosigkeiten – oder heißt es die kleinsten Belanglosigkeiten? Ha, ha, kleiner Scherz. Oder großer Scherz? Ha, ha.“ Schick begann mich gefährlich zu nerven. Ich räusperte mich ebenfalls.
„Aber ja, das war jetzt nicht witzig. Also nun zu meiner Frage und Sie dürfen sie mir wirklich nicht übel nehmen, ok? Also dann… Hm, ich frage mich… wenn Sie tatsächlich Georg Weber suchen – warum haben Sie ihn bisher noch nicht gefunden? Warum fragen Sie nicht einfach mich?“
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Georg Weber. Der Name, den
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