Die Eheprobe
sollte ich mich für dich schämen?«
»Es ist einfach passiert. Ich wollte das nicht. Jude war in Hollywood. Er stand voll im Mittelpunkt. Und da war dieser Junge. Er hat mich geküsst. Zuerst habe ich nicht zurückgeküsst, und dann konnte ich nicht damit aufhören. Ich bin eine Schlampe!« Sie weint. »Ich habe Jude nicht verdient.«
»Du bist keine Schlampe. Und dieses Wort möchte ich nie wieder aus deinem Munde hören, wenn du über dich selbst sprichst. Du bist fünfzehn, Zoe! Und jetzt hast du einen Fehler begangen. Du hast eine falsche Entscheidung getroffen. Warum hast du das Jude nicht einfach erklärt? Er betet dich an. Meinst du nicht, er hätte es verstanden? Irgendwann?«
»Ich habâs ihm ja gesagt. Gleich.«
»Und was ist passiert?«
»Er hat mir verziehen.«
»Aber du hast dir nicht verziehen. Und so entstand Ho-Girl?«
Zoe nickt.
»Alles klar. Aber eine Sache verstehe ich nicht, Zoe. Der Kuss beschäftigt mich weit weniger als die Tatsache, warum du Jude gegenüber so fies warst? Er läuft dir wie ein Welpe hinterher. Er würde alles für dich tun.«
»Er erdrückt mich.«
»Und deine Lösung dafür ist, dich aus dem Staub zu machen?«
»Das habe ich von dir gelernt«, murmelt sie.
»Was hast du von mir gelernt?«
»Sich aus dem Staub zu machen.«
»Du findest, dass ich mich aus dem Staub mache? Vor was denn?«
»Vor allem und jedem.«
Ich registriere diesen Schlag in die Magengrube. »Im Ernst? Glaubst du das im Ernst?«, frage ich.
»Irgendwie schon«, flüstert Zoe.
»Oh mein Gott, Zoe!« Mehr fällt mir nicht dazu ein.
In diesem Augenblick läuft die Maus unter dem Tisch entlang.
Ich hebe meine FüÃe an, und wir sehen uns mit aufgerissenen Augen an. Zoe legt einen Finger an die Lippe. »Gib auf keinen Fall dieses Geräusch von dir«, sagt sie lautlos.
»Igitt«, gebe ich genauso lautlos zurück.
Zoe unterdrückt ein Lächeln, als sie sich ganz langsam von ihrem Stuhl gleiten lässt und mit der Tupperdose in der Hand auf dem Boden zusammenkauert. Als Nächstes höre ich, wie die Schüssel auf den Boden knallt.
»Ich hab sie!«, ruft sie und krabbelt unter dem Tisch vor, wobei sie die Schüssel vor sich herschiebt.
Die Maus bewegt sich nicht. »Hast du sie getötet?«, frage ich.
»Natürlich nicht.« Sie schnippt mit dem Finger gegen die Schüssel. »Sie stellt sich tot. Ich habe sie zu Tode erschreckt.«
»Und wo lassen wir sie am besten frei?«
»Kommst du etwa mit?«, fragt Zoe. »Das machst du doch sonst nie. Du hast Angst vor Mäusen.«
»Doch, ich komme mit«, sage ich und hole ein Stück Pappe aus dem Papiermüll. »Bist du bereit?« Ich schiebe die Pappe unter die Schüssel, und gemeinsam heben wir den Behälter hoch und schlängeln uns durch die Hintertür hinaus. Zoes eine Hand liegt oben auf der Schüssel und meine hält von unten die Pappe fest. Unbeholfen gehen wir ein paar Schritte den Hügel hinauf zu einem Hain mit Eukalyptusbäumen. Dann beugen wir uns im Einklang hinunter und stellen die Schüssel auf dem Boden ab. Ich ziehe die Pappe weg.
»Tschüss, kleine Maus«, säuselt Zoe, als sie die Schüssel anhebt.
Und eine Sekunde später ist die Maus verschwunden.
»Warum, weià ich nicht, aber ich bin immer traurig, wenn ich sie freilasse«, sagt Zoe.
»Weil du sie einfangen musstest?«
»Nein, weil ich mir Sorgen mache, dass sie niemals den Weg zurück nach Hause finden.« Zoes Augen füllen sich wieder mit Tränen.
In diesem Augenblick wird mir bewusst, dass Zoe gerade genauso alt ist wie ich, als meine Mutter starb. Sie sieht eher wie eine Buckle aus als wie eine Archer. Sie hat tolles Haar, womit ich meine, dass ihr Haar ganz von alleine richtig fällt. Ihre Haut ist wunderbar klar, und die Glückliche hat Williams GröÃe geerbt, sie misst fast eins fünfundsiebzig. Aber worin ich mich selbst erkenne, worin ich die Archer-Linie in ihr sehe, das ist ihre Augenpartie. Die Ãhnlichkeit tritt besonders deutlich zum Vorschein, wenn sie traurig ist. Die Art und Weise, wie sie die Tränen mit ihren tiefschwarzen, dichten Wimpern wegzwinkert. Die Art und Weise, wie sich ihre Iris von Marineblau in ein stürmisches Graublau verwandelt. Das bin ich. Das ist meine Mutter. Genau hier vor
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