Die Ehre der Am'churi (German Edition)
unerträglicher Qual.
Schreie. Wütende, schmerzerfüllte Schreie. Ob Am’chur ihn erhört hatte? Kam der Zornige, um ihn zu rächen?
Ni’yos Schwert blitzte im Schein der Feuer auf, sein Gegner sank sterbend nieder. Die Schattenelfen wichen vor seinem Zorn zurück. Binnen weniger Herzschläge hatte der junge Krieger ein halbes Dutzend Kalesh getötet, stand nun breitbeinig über Jivvin, entschlossen, ihn bis zum letzten Atemzug zu verteidigen.
„Du kommst zu spät, Am’churi. Das Ritual war so gut wie vollendet. Er wird vielleicht überleben, aber niemals wieder in dieser Welt erwachen. Wir haben ihn von seinem Gott gerissen“, zischte eine Stimme aus dem Schatten. Ni’yo achtete nicht auf diese Worte, schloss die Augen und verlangsamte seinen rasenden Puls, bis er innerlich vollkommen ruhig war. Er hörte Jivvins qualvolle Atemzüge, das Knistern der Flammen, die verstohlenen Bewegungen der Elfen. Mehrere Klingen wurden gezogen, er nahm das fast unhörbare Schaben von Metall auf Leder wahr. Die tödlichen Waffen wurden auf ihn geschleudert. Sein Chi’a beschrieb einen sirrenden Kreis und schlug alle Geschosse aus der Luft.
„Warum?“, fragte er leise.
„Rache, Am’churi. Dieser von seinem Gott gebrochene Mann soll sterben, für das, was die Drachen uns vor zwei Jahrzehnten angetan haben!“
„Ich weiß nichts davon, was euch angetan wurde. Ich weiß lediglich, weder Jivvin noch ich haben jemals gegen euch gekämpft, wenn ihr nicht zuerst angegriffen habt“, erwiderte Ni’yo langsam. Aus allen Richtungen flogen Pfeile heran. Ni’yo federte in die Knie, wich ihnen aus. Einer streifte seine Schulter, doch er ließ sich nichts anmerken.
„Geht. Dieser Krieger ist nicht für euch bestimmt, er ist mein. Mein Feind, und er darf nur durch meine Hand sterben. Geht, und ich werde euch nicht verfolgen. Bleibt, und keiner von euch wird lebendig nach Hause zurückkehren.“
„Was lässt dich glauben, dass du allein gegen fast sechzig von uns bestehen kannst, während du noch versuchst, deinen Feind zu beschützen?“, spottete die Stimme aus der Dunkelheit. „Warum glaubst du, besser als er gegen unsere Magie gerüstet zu sein, in der Nacht, wenn das Sonnenrad fortgerollt ist und wir jeden Schatten beherrschen?“
Schneller, als das menschliche Auge folgen konnte, riss sich Ni’yo den Bogen von der Schulter, spannte einen Pfeil und schoss. Ein gurgelnder Schrei und ein dumpfer Aufprall bewiesen, dass er getroffen hatte.
„Ich höre eure Herzen schlagen. Ich rieche euren Schweiß. Ich sehe, wie ihr euch zwischen den Bäumen bewegt. Eure Schattengestalt schützt euch, doch wenn ihr angreifen wollt, müsst ihr in diese Welt zurückkehren, und dann finde ich euch. Meinen Feind konntet ihr überrumpeln und dadurch allein bezwingen. Mich werdet ihr nicht besiegen. Mein Name ist Ni’yo. Ich bringe euch den Tod.“ Er begleitete die gelassen gesprochene Drohung mit drei Pfeilen, so rasch hintereinander abgefeuert, dass es eine fast einzige Bewegung zu sein schien. Zwei fanden ihr Ziel. Er wusste, würden sie gemeinsam über ihn herfallen, konnte er nicht überleben, egal, ob er sie hörte und sah oder nicht. Das einzige, worauf er vertrauen konnte, war die natürliche Vorsicht der Schattenelfen. Sie gingen kein Risiko ein, wenn es sich vermeiden ließ, wichen eher vor einem Gegner zurück, als sich in Gefahr zu bringen. Wenn sie sich von seinem Abbild unerschütterlicher Macht täuschen ließen, seine Lüge glaubten, er könne mit seinen Sinnen auch die Schatten durchdringen, dann könnte er überleben. Wenn ihre Sicherheit ihnen wichtiger war als die Rache. Wenn nicht …
„Wir gehen, Am’churi. Auch, wenn wir diesen Mann nicht opfern konnten, er ist verloren für dich und deinen Gott.“
Ni’yo hörte, wie sich Schattenelfen zurückzogen. Alle, bis auf den einen, der die ganze Zeit über zu ihm gesprochen hatte.
„Willst du sterben? Oder hast du noch etwas zu sagen?“, fragte er ruhig.
„Ich will dich von nahem sehen, Ni’yo, Sohn des Am’chur. Nur ansehen. Dann werde ich gehen.“
„Komm näher.“
Langsam bewegte sich der Kalesh aus dem Schutz des Unterholzes heraus, trat mit erhobenen Händen an die Feuerstelle heran. Er war von hohem Wuchs und schmaler Gestalt, mit markanten Zügen und brennenden schwarzen Augen, die das dunkle Gesicht beherrschten. Spitze Ohren ragten aus den langen, glatten weißen Haaren empor.
Er betrachtete den jungen Mann für lange Zeit, bis sich ein
Weitere Kostenlose Bücher