Die Ehre der Am'churi (German Edition)
Handgelenk, als der an ihm vorbeigehen wollte, und zog ihn zu sich herunter.
„Woran erinnerst du dich denn noch?“ Ni’yo hielt den Blick von ihm abgewandt, wehrte sich aber nicht gegen die plötzliche Nähe.
Bevor Jivvin allerdings antworten konnte, riss sich Ni’yo plötzlich los und ging in Angriffsstellung, das Schwert in der Hand.
Jivvin bemerkte verblüfft, dass sein Feind eine beschützende Stellung zu ihm einnahm, offenbar entschlossen, ihn zu verteidigen. Er griff nach seiner eigenen Waffe und trat an Ni’yos Seite. Es fehlte ihm an der sonst gewohnten Kraft und Leichtigkeit, doch er würde um sein Leben kämpfen können, wenn es darauf ankam. Jetzt nahm auch er wahr, dass sich jemand näherte, ein fast unhörbares Rascheln auf dem trockenen Waldboden, zu schwer für ein harmloses Waldtier.
„Friede, Am’churi!“, hallte es plötzlich. Erleichtert ließen sie beide die Waffen sinken – es war Tamu, der zweithöchste Großmeister der Am’churi, der nach ihnen rief. Einen Moment später trat er, gemeinsam mit Leruam, zwischen den Baumstämmen hervor.
„Meister, was hat Euch aus dem Tempel geführt?“, fragte Ni’yo verblüfft. Seit Jahrzehnten hatte Leruam keinen Fuß mehr auf die andere Seite des Haupttores gesetzt.
„Ihr beide“, erwiderte der alte Am’churi, und begutachtete sie dabei lächelnd. Die jungen Krieger wussten, weder Jivvins Schnittwunden noch Ni’yos tiefe Erschöpfung blieben diesem Blick verborgen.
„Der Führer der Handelskarawane stand vorgestern Morgen vor dem Tor und hätte es beinahe eingeschlagen“, führte er dann aus. „Er war in Todesangst, blickte immer wieder gehetzt über die Schulter und warf sich mir sogleich vor die Füße, wimmerte, dass man ihm Gnade gewähren möge … Es dauerte eine Weile, aus seinem Gestammel und den Erzählungen der anderen Händler herauszuhören, dass du, Ni’yo, ihm offenbar einen grässlichen Tod angedroht hast, sollte Jivvin von einer Horde von Schattenelfen umgebracht worden sein. Da sie sich sicher waren, dass genau das geschehen war, bettelten sie um unseren Schutz. Wir wussten immer noch nicht so wirklich genau, um was es eigentlich ging, aber sie wiederholten beharrlich den Namen Kalesh , und schienen überzeugt zu sein, dass Ni’yo gefährlicher und rachsüchtiger als Am’chur ist.“ Er zwinkerte Ni’yo zu. Überrascht starrte Jivvin seinen Feind an, erhaschte dabei den einmaligen Anblick, diesen Krieger vor Verlegenheit erröten zu sehen. „Du hast Kim’le hoffentlich nur bedroht und nichts angetan?“, fragte Jivvin innerlich grinsend. Er hatte die Händler völlig vergessen, war aber nicht traurig darüber, dass sie zumindest ein wenig abgestraft worden waren. Oh ja, er hatte gesehen, wie die Kalesh Kim’le einen schweren, klimpernden Sack zugeworfen hatten, bevor die Händler geflohen waren. Diese Leute hatten ihn verkauft!
„Du kennst mich, Jivvin, ich bin durch und durch sanft“, murmelte Ni’yo. Sie lachten alle auf, und Tamu rief: „Schon gut, Jivvin, sei unbesorgt, Kim’le wird es überleben!“
„Wer sagt, dass ich das wünsche? Ich will ihn selbst aufschlitzen, diesen verlogenen Bastard, er hat mich verraten!“
Sie blieben noch eine Weile so gemeinsam sitzen. Ni’yos Schilderung über das, was nach der Flucht aus dem Lager der Kalesh geschehen war, blieb merkwürdig vage. Der junge Am’churi murmelte etwas von Meditation, und dass Am’chur eingegriffen hätte, um Jivvin zu retten. Das erklärte nicht, warum Ni’yo so bleich und erschöpft aussah, oder beständig auswich, wenn man ihm Fragen dazu stellte, aber mehr war aus ihm nicht herauszubekommen. Auf Jivvins Frage, warum Ni’yo überhaupt nach ihm gesucht und die immense Gefahr auf sich genommen hatte, ein Lager mit rund sechzig kampffähigen Kalesh anzugreifen, zuckte er nur die Schultern.
„Mir war langweilig, und ich dachte, ohne dich und deine lächerlichen Angriffe würde das Leben noch öder werden … Eines Tages werde ich dir schon noch beibringen können, wie man eine doppelt gedeckte Attacke schlägt, und dann kann ich dich in Frieden umbringen.“
Er sah dabei zu Boden, wie so meist, und ließ sich von keiner Frage weiter aus der Reserve locken.
Es war merkwürdig, wie enge Freunde zusammen zu sitzen und gemeinsam zu lachen und zu essen, was die beiden Großmeister mitgebracht hatten, als gäbe es weder Sorge noch Hass oder irgendetwas, was sie trennte. Merkwürdig, ganz gewiss. Aber auf gute Weise. Jivvin fühlte
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