Die Ehre der Am'churi (German Edition)
des Geschehens erreichte. Zu früh war der Kampflärm verstummt, als dass er sich hätte orientieren können. Die Spuren, die sich hier offenbarten, verwirrten ihn. Anscheinend hatten Händler in der Nähe gelagert, eine große Gruppe mit vielen Lasttieren. Er überschlug kurz die Entfernung zum Tempel – es könnte durchaus die Karawane gewesen sein, die Jivvin angeworben hatte. Den Zeichen nach war diese Gruppe vor über zwei Stunden aufgebrochen, dazu in größter Eile. Der Grund dafür lag auf der Hand, es gab deutliche Spuren von Kämpfen. Aber Wegelagerer griffen gewöhnlich mit Pfeilen an, und konzentrierten sich auf die Lasttiere. Wie es schien, war aber die gesamte Karawane unbeschadet entkommen, die Abdrücke der Tiere wie auch die Fährten der Händler wurden nicht von Verfolgern unterbrochen. Hatten die Räuber gegen sich selbst gekämpft? Der Boden war an einer Stelle zerwühlt, hier war eine Menge Blut geflossen. Leichen gab es keine.
Das wäre typisch für Schattenelfen, sie ließen niemals einen der ihren zurück, selbst einzelne Kleidungsfetzen wurden sorgfältig aufgelesen und mitgenommen. Aber wenn die Kalesh eine Karawane angriffen, zielten sie erst recht auf die Waren und Tiere.
Nachdenklich kniete Ni’yo neben der Kampfstätte, versuchte, die vielfältigen Fährten und Zeichen zu lesen. Es schien, als hätte das Gefecht sich um eine alte Esche entschieden. Viele Kämpfer hatten hier im Kreis gestanden, dicht an dicht, und waren auf den Baum zugerückt. Vermutlich hatte eine kleine Gruppe versucht, sich hier zu verteidigen und war überwältigt worden.
Oder vielleicht auch nur ein einzelner Kämpfer?
Jivvin?
Es waren einfach keine deutlichen Abdrücke zu finden. Von der Esche führten zwar Fußspuren zahlreicher Männer mit leichten Stiefeln fort, verloren sich aber rasch auf dem felsigen Untergrund, der hier große Teile des Geländes ausmachte. Ni’yo war ein recht guter Jäger und konnte Fährten folgen, doch das machte keinen Waldläufer aus ihm. Er war ein Am’churi, kein Kind Murias! Die unbekannten Angreifer hatten es geschafft, ihre Spuren zu verwischen. Eine Weile versuchte Ni‘yo, die Fährte wiederzufinden, schließlich musste er sich aber eingestehen, dass er hier versagte. Kalesh. Alles sprach dafür. Die Schattenelfen brauchten nicht einmal ihre seltsamen Fähigkeiten, um ungesehen zu verschwinden. Es schien, als würde der Wald selbst ihnen dienen, indem Büsche und Sträucher ihre Zweige fortbogen, der Boden alle Abdrücke verschluckte. Ratlos, was er jetzt tun sollte, blickte er um sich. Es gab keinen echten Grund, die Spuren zu suchen. Das Kommen und Gehen dieser Fremden ging ihn nichts an, ihre Ziele und Absichten konnten ihm gleichgültig sein. Sinnvoll wäre es, zum Tempel zurückzukehren und sich seinem Leben zu stellen.
Und wenn es doch Jivvin war, der überwältigt wurde?
Die Händler waren ihm verdächtig erschienen. Eine große Gruppe von Angreifern hatte in dieser Nacht zugeschlagen, sich aber nicht um die kostbaren Handelswaren gekümmert. Das allein war mehr als seltsam. Balur, der Gott der Händler, griff genauso wenig in das Schicksal der Sterblichen ein wie Am’chur, er verhinderte kein Unglück, nur, weil er es konnte. Mit Sicherheit also war hier kein göttliches Wunder geschehen, sondern ganz und gar menschliches Handeln. Oder elfisches!
Kurz entschlossen kehrte Ni’yo zurück zur Straße und wandte sich der Fährte der geflohenen Karawane zu. Wenn er etwas über dieses Rätsel erfahren wollte, musste er wissen, was heute Nacht geschehen war. Sollte Leruam zornig auf ihn sein, weil er unerlaubt verschwunden war, wen kümmerte das? Alle Welt war wütend auf ihn, allein dafür, dass er es wagte zu leben; einer mehr machte da keinen Unterschied.
„Habt Gnade, Herr!“, wimmerte Kim’le. Ni’yo hatte den dicken kleinen Mann am Kragen gepackt, presste ihn unerbittlich gegen einen Findling, während er sein Schwert in der Linken hielt und die übrigen Händler bedrohte.
„Sieh mich an“, fauchte der Am’churi voller Zorn, „sehe ich aus wie jemand, der Gnade kennt?“
„Bitte Herr, bitte!“
„Wenn du leben willst, Schabe, sag mir, was du getan hast!“ Mit voller Absicht starrte er dem Händler ins Gesicht, wissend, wie furchterregend sein Anblick sein konnte, wenn er es wollte. Niy’yo genoss es, wie sich dieser verlogene Feigling vor ihm krümmte.
Er fuhr herum, als er eine Bewegung erahnte, fixierte einen der Männer mit loderndem
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