Die Ehre der Am'churi (German Edition)
das Staunen, mit dem Ni’yo genoss, was er offenkundig seit zwei Jahrzehnten nicht mehr erfahren hatte: Teil einer Gemeinschaft zu sein, in der er ohne Bedingungen oder Einschränkung akzeptiert wurde, selbst, wenn dies nur für einen kurzen Augenblick währte. Es war merkwürdig, dass Ni’yo dies tatsächlich zu mögen schien, statt wie sonst üblich zu fliehen und sich von allen zurückzuziehen. Und Jivvin freute sich für ihn, was vielleicht das Merkwürdigste an all dem war.
Nach dem Essen brachen sie auf, zögerlich, denn sie wollten alle vier diesen Augenblick des Friedens nicht zerstören. Aber das Unvermeidliche wartete nicht, und so gab Leruam schließlich das Zeichen zur Rückkehr.
„Orophin muss dem Tempel vorstehen, solange ich weg bin, und ihr wisst, wie nervös er ist“, sagte er lächelnd. Jivvin lachte aus vollem Herzen: Orophin war innerlich in etwa so unruhig wie ein Granitblock.
„Ja, und bedenkt, wir haben ihm die Händler überlassen. Am’chur mag wissen, ob Kim’le das auch überleben wird!“, warf Tamu ein. Diese seltsame, gelöste Stimmung hielt noch eine Weile an.
„Meister?“, fragte Ni’yo irgendwann. „Was meinte der Elf damit, dass die Am’churi seinem Volk Schlimmes angetan haben? Warum wollten sie Jivvin stellvertretend für alle töten?“
Leruam seufzte. Ein Bild stieg in ihm auf, die Erinnerung an eine junge Frau, die ihm dankbar zulächelte. Eine Frau, der Ni’yo so ähnlich sah …
„Ich musste eine Entscheidung treffen und konnte nicht ahnen, welche Folgen sie haben würde. Die wahren Gründe liegen aber noch viel tiefer in der Vergangenheit, in Zeiten, die schon so lange vergangen sind, dass sich außer den Elfen nur noch die Götter selbst daran erinnern. Verzeih, aber deutlicher kann ich es dir nicht erklären. Der Tag wird kommen, an dem ihr beide mehr darüber erfahren werdet, als ich je wusste.“ Der junge Krieger nickte, sichtbar unzufrieden, aber er fragte nicht weiter.
Ni’yo und Jivvin waren bald ein ganzes Stück vor den Großmeistern und überschütteten sich gegenseitig mit beißendem Spott, wie man es von ihnen gewohnt war. So merkten sie nicht, dass Tamu und Leruam absichtlich weiter zurückblieben und leise miteinander flüsterten.
„Es ist alles bereit, sei unbesorgt“, wisperte Tamu.
„Sie sind wahrhaftig bereit, und es wird Zeit. Wenn er noch mächtiger wird, kann niemand ihn aufhalten. Es wird für beide Zeit.“
„Es stand auf Messers Schneide, nicht wahr?“
„So stand es schon immer, Tamu, schon immer …“
Gedankenverloren beobachtete Leruam die beiden streitenden Feinde. Der Tonfall zwischen den beiden gewann an Schärfe, schon bald würde der alte Hass seine gesamte Macht zurück gewonnen haben. Der alte Meister lächelte. Ja, alles war genauso, wie es sein sollte.
10.
„Duell?“, fragte Jivvin herausfordernd. Er stand in der Tür von Ni’yos Zimmer, mit verschränkten Armen, und betrachtete seinen Feind. Einige Wochen waren vergangen seit dem unseligen Vorfall mit den Schattenelfen. Mittlerweile war es Herbst geworden, und alles war wieder wie gewohnt zwischen ihnen. Der kalte Hass, Jivvins Wut über die beständigen Niederlagen, die Ni’yo ihm einbrachte, er loderte wieder so stark wie zuvor. Kim’le und seine Männer hatten unbeschadet weiterziehen dürfen, nachdem Jivvin ihnen mehrere heilige Eide auf Balur abverlangt hatte, dass sie das Geld der Kalesh verwenden würden, um es in der nächsten Stadt dem Tempel der Nauriten zu schenken. Die Priesterschaft dieser göttlichen Zwillinge kümmerte sich um Kranke, Verletzte und geistig Verwirrte. Sie galten als unerschrockene Heiler, die sich sogar auf Schlachtfelder wagten, um Verwundete und Sterbende zu bergen. Man erkannte sie an ihren Goyan-Masken, schneeweiße Gesichtsbedeckungen, die nur die Augen frei ließen. Ob sie sich damit vor bösen Geistern, üblen Gerüchen oder möglicherweise auch Ansteckung vor Krankheiten schützen wollten, wusste niemand, der nicht zu den Nauriten gehörte.
Ni’yo nickte seinem Feind knapp zu, frühstückte aber erst einmal weiter. Er hatte sich Essen aus der Küche geholt, noch bevor irgendjemand sonst aufgestanden war. Jivvin setzte sich unaufgefordert auf den Tisch und schnappte sich ein paar Fruchtstücke aus Ni’yos Holzschale.
„Hab ich dir das erlaubt?“, fragte der jüngere Krieger mit eisigem Tonfall.
„Nein. Aber so geht es schneller voran hier!“, grinste Jivvin spöttisch.
„Hast du es so
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