Die Ehre der Am'churi (German Edition)
Sternen.
Jivvins Rücken sah recht gut aus, die natürlichen Heilkräfte der Am’churi taten sichtbar ihr Werk. Man sah zwar noch die Peitschenstriemen, aber alle Wunden waren geschlossen, keine einzige war so tief gewesen wie bei ihm selbst, dazu waren es deutlich weniger. Ni’yo seufzte innerlich. Ja, es war eine Fehlentscheidung gewesen, seinen Peiniger zu provozieren, aber das konnte er jetzt nicht mehr rückgängig machen. Die ungelenken Bewegungen, mit denen Jivvin versuchte, seine Rückenmitte zu erreichen, zerrten an Ni’yos Nerven.
„Lass mich das machen!“, zischte er schließlich. „Bis du fertig wirst, haben wir Winter!“
„Du willst mir den Rücken waschen?“ Ungläubig starrte Jivvin ihn an.
„Im Moment dient alles, was ich für dich tue, meinem eigenen Wohl.“ Ni’yo hob die rechte Hand, ließ die Kette klirren. „Das Schicksal ist ein altes Weib mit bösartigem Sinn für Humor, wie man sagt, nicht wahr?“
„Ich weiß trotzdem nicht, ob ich dich an meinen Rücken lassen will.“ Abschätzig verzog Jivvin das Gesicht. Noch nie hatte Ni’yo etwas aus Mitgefühl für einen anderen Menschen getan! Ob dieser Mann überhaupt fähig zu solchen Regungen war?
„Ich werde deine empfindsame Haut liebkosen wie eine Amma ihr Neugeborenes. Nun mach schon, ich will heute noch weiter kommen!“
Zögerlich drehte sich Jivvin so, dass Ni’yo alle Verletzungen erreichen konnte. Da er kein anderes Hilfsmittel zur Hand hatte, zog sich Ni’yo kurz entschlossen ebenfalls das Hemd über den Kopf, auch, wenn er sich dabei einige Krusten aufriss. Es irritierte seinen umnebelten Verstand, dass er kaum einen Flecken in diesem Stück Stoff finden konnte, der nicht von Blut durchtränkt war. Wütend tauchte er es unter Wasser und nutzte den linken Ärmel, um seinem Feind zu helfen, so behutsam wie nur möglich. Er konnte es sich nicht leisten, seinem Gefährten Grund zur Rache zu geben.
Oh ja, sie ist wirklich bösartig, die Göttin des Schicksals …
Jivvin war fassungslos, wie sanft sein Todfeind mit ihm umging. Er hatte mit einer groben, schmerzhaften Abreibung gerechnet, schon aus Rache dafür, dass er Ni’yo in der Nacht vom Trinken abgehalten hatte. Nie hätte er diese Ratte für fähig gehalten, so vorsichtig und doch gerade fest genug mit Verletzungen umzugehen, sodass es eben nicht schmerzte, aber auch nicht kitzelte. Wann hatte Ni’yo wohl Erfahrung als Heiler gesammelt? Von ihm ließ sich doch kein Am’churi freiwillig anfassen, der noch bei Verstand war … aber nun, ein Schwerverletzter war meistens nicht mehr bei klarem Verstand oder Bewusstsein, und wer wusste schon, was Ni’yo bei seinen gelegentlichen Ausflügen so getrieben hatte?
„Jetzt du“, sagte er, als er spürte, dass Ni’yo fertig mit ihm war.
„Nein! Nein – es ist … nein, ist nicht nötig.“
Jivvin drehte sich zu ihm um, musterte das aschgraue Gesicht, die glasigen Augen, die ihn kaum noch wahrzunehmen schienen.
„Es ist wichtig, Ni’yo. Du wurdest doch genauso wie ich geschlagen, oder? Der Dreck muss runter von den Wunden. Ich werde dir nicht wehtun, du warst schließlich auch nicht grob zu mir“, sagte er leise. Ni’yo gab keine Antwort, sein Gesicht war eine starre Maske, hinter der Qual und tödliche Erschöpfung fühlbar waren. Jivvin packte ihn energisch an den Schultern, drehte ihn mit dem Rücken zu sich um – und erstarrte.
„Warum in Am’churs Namen hat man dir das angetan?“, knurrte Jivvin.
„Ich wollte mich stärker verletzen lassen, in der Hoffnung, dass der Wächter dann unaufmerksam wird und ich Gelegenheit zur Flucht bekäme. Es war nicht schwierig, den Kalesh dazu zu bringen, ich musste nur jeden Laut unterdrücken … Funktioniert hat es dann leider nicht“, flüsterte der junge Am’churi.
Jivvin stöhnte innerlich auf. Ni’yos Rücken war eine einzige blutige Masse, unvorstellbar, wie lange und wie hart man ihn geschlagen haben musste, um solch tiefe Wunden zu reißen! An einigen Stellen konnte man sogar Knochen schimmern sehen. Ein gewöhnlicher Mensch wäre längst tot. Ein gewöhnlicher Am’churi hätte es nicht geschafft zu fliehen und anschließend noch stundenlang durch die Nacht zu marschieren. An Ni’yo war nichts gewöhnlich, er konnte mehr ertragen als jeder andere. Mit ausreichend Schlaf und Nahrung würde er innerhalb weniger Wochen vollständig heilen. Nur dass es hier draußen schwierig sein würde, solchen Luxus zu finden.
„Verdammt, nicht einmal du
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