Die Ehre der Am'churi (German Edition)
wirst das überleben!“, grollte er.
„Was erwartest du von mir? Soll ich Impulkro begehen?“ Ni’yo blickte mühsam über die Schultern, Wut funkelte in den dunklen Augen. Impulkro war ritueller Selbstmord, der von Am’churi begangen wurde, wenn es keine andere Möglichkeit mehr gab, die Ehre zu wahren.
„Nein, selbstverständlich nicht! Ni’yo, wozu hast du ihn noch provoziert? Als ob du das nötig hättest, du treibst die Leute doch so schon in den Wahnsinn! Du hast wahrscheinlich eine Spur hinterlassen, der ein blinder Ochse folgen könnte. Warum hast du nichts gesagt?“
„Ich hatte nicht viele Möglichkeiten, Flucht schien unwahrscheinlich, ein schneller Tod die bessere Alternative“, erwiderte Ni’yo steif. „Heute Nacht war ich zu sehr damit beschäftigt, aufrecht zu bleiben, das war ein Fehler.“
Jivvin unterdrückte seine Wut. Er selbst hatte mit den gleichen Gedanken gespielt, sich aber erst einmal dagegen entschieden, in der Hoffnung, es würde sich vielleicht von selbst eine Fluchtgelegenheit ergeben. Dass er Glück haben könnte, war nicht vorherzusehen gewesen.
So bedächtig wie möglich wusch er Blut und Schmutz von Ni’yos Rücken. Es sah nicht ganz so schlimm aus wie auf den ersten Blick befürchtet: Die Wunden waren zwar tief, aber nicht entzündet, die Heilung hatte sichtbar begonnen. Jivvin dachte nach, musterte die grausam zerfetzte Haut. Plötzlich wurde ihm bewusst, wie stark Ni’yo zitterte, obwohl er offenbar versuchte, es zu unterdrücken. Wie sehr er selbst fror, nahm er erst jetzt war. Das Wasser war eisig, seine Füße begannen langsam taub zu werden. So geschwächt, wie Ni‘yo durch seinen Blutverlust und die Schmerzen sein musste, litt er sicherlich wesentlich stärker unter der Kälte. In den folgenden Nächten würde es wahrscheinlich noch kälter hier draußen werden. Finster wog Jivvin alle Für und Wider gegeneinander auf und traf eine Entscheidung.
Mit geballten Fäusten wartete Ni’yo, dass Jivvin endlich etwas sagte. Was machte er da hinten? Anscheinend war er doch fertig mit seinem Rücken! Ihm war so kalt …
Er fuhr zusammen, als er an der Schulter gepackt und aus dem Wasser gedrängt wurde. Etwas hatte sich verändert, er spürte deutlich die Wachsamkeit seines Feindes. Würde Jivvin sich denn die Mühe machen, erst seine Wunden zu reinigen, bevor er ihn tötete?
Wenn er sicher gehen wollte, dass ich wirklich zu schwer verletzt bin, ja …
Ni’yo zauderte einen Moment lang. Instinktiv wollte er kämpfen, sein Leben verteidigen. Aber wozu? Er war zu schwach, konnte kaum noch klar denken. Das letzte bisschen Kraft brauchte er, um bei Bewusstsein zu bleiben und aufrecht zu stehen. Mehr hatte er nicht.
Die Kette ruckte schmerzhaft, zwang ihn, anzuhalten. Er gehorchte, wartete zitternd, was Jivvin nun tun würde. Kein Ehrenkampf, das war gewiss.
Mit gesenktem Kopf stand er still, rang mühsam nach Luft. Warum nur fiel ihm das Atmen so schwer? Sein Körper war ein Schlachtfeld, brennender Schmerz kämpfte gegen betäubende Kälte um die Vorherrschaft. Jivvin, was tat er da? Ni’yo biss sich auf die Lippen, um ein Stöhnen zu unterdrücken, als er das Geräusch hörte: das ledrige Schleifen eines Messers, das aus der Scheide gerissen wurde. Kein Schwert, die Kette ließ nicht genug Freiheit für so etwas.
Dreh dich um. Sieh ihm in die Augen und stirb wie ein Mann, nicht wie ein Wurm, ahnungslos erschlagen … dreh dich um!
Doch seine Beine ließen ihn im Stich, verweigerten jede Bewegung. Mehr noch, sie wollten ihn nicht mehr tragen. Noch einmal sammelte Ni‘yo alle Kräfte, kämpfte darum, aufrecht zu bleiben. Angst, er hatte Angst!
FEIGLING!
Wenn es sein musste, würde er ohne Ehre und Würde sterben – die hatte er sowieso nie besessen – aber er wollte verflucht sein, wenn er sich auf den Knien abschlachten ließ! Gegen das Zittern seiner Glieder konnte er sich nicht wehren, auch, wenn er seine Schwäche hasste.
Jivvin, dreh mich um, sieh mir in die Augen … sieh mir in die Augen, wenn du mich tötest, nur diese eine Gnade … all die Jahre, die wir Feinde waren, willst du mir nicht deinen Triumph zeigen? Bitte …
Er würde nicht laut betteln, nicht aussprechen, was er innerlich schrie.
Die Messerschneide berührte seinen Nacken, kalt und spitz. Ni’yo schaffte es nicht ganz, sich zu beherrschen und fuhr leicht zusammen. Hektisch atmend kämpfte er weiter gegen die Ohnmacht. Die Klinge fuhr seinen rechten Arm hinunter, ohne in die
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