Die Ehre der Am'churi (German Edition)
noch im Angesicht seines größten Feindes selbst entehren?
„Es tut mir leid“, sagte Jivvin leise. „Ich wollte das nicht … Diese verdammte Beere hatte wirklich noch zu viel Gift. Ich hätte dich vielleicht knebeln sollen, aber das konnte ich nicht. Lieber hätte ich mich allein den Elfen gestellt.“
Ni’yo nickte ihm zu. Er wollte jetzt eigentlich nur noch in ein tiefes Loch versinken, vergessen und vergessen werden. Diese Schande, wie sollte er damit leben?
Er zuckte zusammen, als Jivvin ihn wieder am Arm berührte.
„Du solltest etwas trinken, das Gift muss raus aus deinem Körper.“ Ni’yo folgte dem Blick seines Gefährten, erkannte erst jetzt, dass sie neben dem Bach lagerten. Matt versuchte er sich zu drehen, doch sein Körper folgte nicht, zu schwach war er von seinen unzähligen Verletzungen, dem Gift und dem langen Kampf im Wahn. Es war zu viel geschehen in den vergangenen Stunden, in den vergangenen zwei Tagen, mehr, als er ertragen konnte.
„Ich helfe dir.“ Jivvin beugte sich über ihn, tränkte ein Stück Stoff mit Wasser und hielt es dann an seine Lippen. Innerlich vor Scham und Wut auf sich selbst schreiend lehnte Ni’yo die Gabe ab, presste entschlossen die Lippen zusammen. Lieber verdurstete er, als wie ein Säugling an dem Tuch zu saugen, egal, wie ausgetrocknet er war!
Entschlossen kämpfte er sich auf die Seite, von Jivvin abgewandt, und rührte sich nicht mehr. Die Augen zu schließen wagte er nicht, denn jedes Mal, wenn er das tat, flackerten die grauenhaften Bilder wieder auf. Kurz bevor die Erschöpfung ihn doch übermannen konnte, durchzuckte ihn eine Erkenntnis.
Schuld.
Was er dort in Jivvins Gesicht gesehen hatte, war Schuld gewesen.
Aber wofür fühlte sein Feind sich schuldig? Die Rauschbeere war sein Vorschlag gewesen, gewiss, aber Ni’yo hatte sie freiwillig geschluckt. Müsste er nicht eigentlich wütend sein, dass Ni’yo ihn zumindest in seinen Alpträumen zur Folter fähig hielt?
Misstrauisch lauerte er, ob Jivvin sich ihm näherte, doch der Krieger saß still an dem kleinen Feuer, während die Nacht hereinbrach. Als er sich schließlich doch zu ihm drehte, stellte sich Ni’yo tief schlafend. Innerlich brüllte er, während Jivvin sich verstohlen an seinem Hemd zu schaffen machte, zeigte aber mit keiner Regung, dass er davon etwas spürte.
„Am’chur weiß warum, aber sie heilen einfach nicht“, hörte er ihn brummen, dann rückte Jivvin von ihm ab. Die Erleichterung, dass Jivvin tatsächlich nur nach den Verletzungen gesehen hatte, begleitete Ni’yo bis in den Schlaf.
Er hat es nicht getan! Es waren nur Träume, wahnhafter Unsinn ohne Bedeutung. Er hat mir das nicht angetan!
Diese Überzeugung brachte die schlimmsten Ängste zum Schweigen, und auch wenn er mehrmals erwachte, von Alpträumen verfolgt, fand er die Ruhe, die er so dringend brauchte.
In den folgenden zwei Tagen marschierten sie in vollkommenem Schweigen. Jivvin war sich sicher, dass sein Gefährte längst wieder sprechen konnte, doch Ni’yo weigerte sich, auch nur den leisesten Ton zu äußern und beantwortete Fragen nur mit Nicken oder Kopfschütteln. Auch sonst entzog er sich, vermied jegliche Berührung oder Blickkontakt. Mehrere Versuche von Jivvin, über das Erlebte zu reden, sich dafür zu entschuldigen, die Rauschbeere angeboten zu haben, verliefen ins Leere.
Er muss doch wissen, dass ich ihm nichts angetan habe, nicht wirklich, nicht willentlich und vor allem nicht das!
Die Stille drückte Jivvin nieder, die Gedanken an die eigene Schuld, an das, was er in der Höhle getan hatte. Mit anzusehen, wie der sonst so unbeugsame Krieger an seiner Seite an Leib und Seele litt, sich nur steif und mit Mühe bewegen konnte. Wie Angst in seinen Augen leuchtete, wann immer er zufällig in Jivvins Richtung blickte, die Alpträume, die nachts zurückkehrten und Ni’yo dazu brachten, zu weinen, aufzuschreien, um den Tod als Erlösung zu betteln – all das war unerträglich.
Irgendwann hielt er es nicht mehr aus. Er packte Ni’yo unvermittelt an den Schultern und schleuderte ihn gegen den nächsten Baumstamm.
„Schluss jetzt!“, knurrte er. Sein Innerstes krampfte sich zusammen, als er sah, wie Ni’yo sich abwehrend duckte, statt sich zu verteidigen oder einfach nur gelassen die Augenbrauen hochzuziehen, wie er es sonst immer tat.
„Hör auf damit! Das bist doch nicht du!“, schrie er, schüttelte ihn durch, ließ aber rasch ab, als Ni’yo aufstöhnend in die Knie
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