Die Ehre der Slawen
Und eines dieser Kinder, dessen war sich der Kmete gewiss, das war sein eigener Sohn. Der Zweitgeborene, um genau zu sein.
Der alte Bauer war voller Gram und Verzweiflung: Sein ältester Sohn, der hochgewachsene, stolze Witka, erledigte die schmutzige Blutarbeit für den Deutschen Kaiser in irgendwelchen fremden Landen. Sein immer zu Späßen bereiter Paddie war eine Geisel in der Hand des Feindes und von seiner herzenslieben kleinen Dusa, dem Sonnenschein der Familie, da fehlte seit Tagen jede Spur. Faktisch konnte er von keinem seiner Nachkommen mit Gewissheit behaupten, dass es ihm gut gehe. Ja, er wusste nicht einmal, ob all seine Kinder überhaupt noch am Leben waren. Sein Weib hatte am gestrigen Abend einen Schock erlitten, als sie mit eigenen Augen hilflos mit ansehen musste, wie dieser böse Dämon ein langes Messer an ihren Zweitgeborenen gelegt hatte. Seitdem war sie nicht mehr ansprechbar, hatte sich in einen dunkeln Winkel des Versammlungshauses zurückgezogen und wimmerte nur noch vor sich hin.
Stephan, der schon unzählige Jahre zur Familie gehörte, reagierte auf seine Weise. Zwar war auch er zutiefst betroffen über die himmelschreiende Ungerechtigkeit, ließ sich aber im Gegensatz zu seinem Kmeten nicht vom Stumpfsinn übermannen. Die Zeiten, als er noch unter Otto dem I. das Kriegshandwerk erlernt hatte, waren zwar schon Legende, jedoch hatte er von alledem noch nichts vergessen. Weder Gicht noch Alter konnten ihm in diesem Moment der Wahrheit zurückhalten. Er wollte gegen die Söldner jenes Volkes antreten, auf deren Seite er einst gekämpft hatte. Auch wenn es das Letzte in seinem Leben war, was er an Wiedergutmachung noch zu leisten vermochte.
Mit grimmiger Entschlossenheit hob Stephan den Deckel der Truhe, in der er seine ganzen Habseligkeiten wusste. Hart, kalt und unerbittlich fühlten sich die ineinander verschlungenen Ringe seines ehernen Hemdes an. Es war jener alte Panzer, den er trug, als vor seinen Augen der stolze Wendenfürst Nacco fiel. Er hatte ihn auch noch an, als Stoignev und seine letzten 700 Getreuen die Waffen streckten. Als am darauf folgenden Tage jedoch alle Gefangenen wie dummes Vieh abgeschlachtet wurden, da schwor er sich, dieses Hemd nie wieder im Kampfe gegen einen einfachen Bauern zu tragen.
Oh ja, Stephan wusste Bescheid. Er kannte die Stärke des Großen Ottos, die darin bestand, einen Feind bis zum letzten Mann auszulöschen. Ob nun nach der Schlacht mit den Magyaren auf dem Lechfeld oder nach dem letzten großen Aufstand der Wenden, für den inzwischen verstorbenen Kaiser machte dies keinen Unterschied. Feind war Feind und Gefangene waren allemal gut genug, ein furchtbares Exempel zu statuieren.
Dies waren die Säulen, auf denen sich seine Macht stützte. Das war das Fundament, auf dem er sein riesiges Reich zusammengeschweißt hatte und was nach eben diesen Lehren immer noch wuchs und gedieh. Obwohl nun sein Sohn regierte, machte es dabei kaum einen Unterschied.
Stephans raue Hände strichen glättend über sein weit geschnittenes Leinenhemd, bevor er die derbe Kampfhose darüberzog und mittels einer zähen Lederschnur gürtete. Gewiss, seine Beinkleider waren alt und fleckig, aber durch kräftiges Walken war der Wollstoff so fest und widerstandsfähig geworden, dass es schon erhebliche Mühe bereitete, ihn zu zerreißen.
Fast teilnahmslos schaute Paddies Vater dem Treiben seines Cholps zu. Er sah, wie Stephan nun mit langsamen und bedächtigen Bewegungen das schwere, feste Wams aufnahm, es mit beiden Händen in die Höhe hielt und ausgiebig von allen Seiten betrachtete.
»Warum tust du das?«, fragte er schließlich.
»Was?«
»Na das, was du da gerade machst. Du putzt dich heraus, als wolltest du nicht in den Kampf ziehen, sondern auf Brautschau gehen.«
Statt einer Antwort brummte Stephan nur ein »Hmm« und schlüpfte mit langsamen Bewegungen in die dick gepolsterten Ärmel. Was sollte er seinem Bauern auch für eine Antwort geben? Für die Vorbereitungsrituale eines ehrbaren Kämpfers hätte der Kmete sowieso kein Verständnis gehabt. Sein Herr war eben ein einfacher Bauer, der sich mit Feld und Vieh auskannte. Ehrlich und gerecht, so wie alle anderen Wenden, die Stephan kennengelernt hatte. Aber wenn es in die Schlacht ging, schlug und prügelte er einfach und ohne Überlegung drauflos. Er musste auf ihn achtgeben, notfalls ihn sogar mit seinem Leben schützen.
Mit ruhigen Händen fädelte Stephan die langen Schnüre durch
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