Die Ehre der Slawen
Streitmächte wahre Bände. Hass, Wut, Verzweiflung, Erleichterung und noch eine ganze Menge anderer Gefühle spiegelten sich in ihnen wider. Innerhalb eines einzigen Augenblicks hatte sich das Blatt grundlegend gewendet. Die vermeintlichen Sieger waren es nun, die angesichts dieser geballten Streitmacht hoffnungslos unterlegen waren. Und immer noch suchten slawische Reiter durch das Tor zu drängen, obwohl der Dorfplatz schon längst überfüllt war.
Mehrere Minuten lang musterten sich die gegenüberstehenden Heere schweigend und immer noch sprach niemand ein Wort. Das Schaben von schweren Füßen auf dem Boden, das Aneinanderreiben von dicht gedrängt stehenden Leibern, das vereinzelte Stöhnen der Verletzten und die Geräusche der Pferde, dies war alles, was zu hören war. Eine schwere Dunstwolke aus Schweiß und Staub lag über dem Kampfplatz und trieb langsam in die Höhe.
Schließlich trabte ein vornehm gekleideter Slawe aus der Menge hervor und reckte seine Streitaxt in die Höhe. An seinem Helm wehte ein armlanger Schweif aus glänzenden, pechschwarzen Pferdehaaren.
»Hört mich an, ihr fremden Krieger aus dem Lande der Sachsen. Streckt eure Waffen nieder, der Kampf ist vorüber. Ihr habt genug Leid und Tod über uns gebracht. Es reicht jetzt! Kehret auf dem schnellsten Wege dorthin zurück, woher ihr gekommen seid. Berichtet daheim, dass wir uns sehr wohl zu wehren wissen und jeden Eindringling verjagen werden, der nicht mit reinem Gewissen und als Freund zu uns kommen will! Wenn ihr dies tun wollt, so sollt ihr geschont werden. Wenn nicht, so sollen eure Gebeine in unseren tiefsten Sümpfen vermodern. Überlegt euch gut, was ihr nun zu tun gedenkt, aber überlegt nicht zu lange!«
Der Slawenfürst ließ seinen Arm sinken, legte die gefährliche Axt auf seinen Schoß und blickte abschätzend in die Runde.
Aus der Richtung eines etwas abseitsstehenden Hauses hallte plötzlich eine Stimme über den Platz: »Ha, das hast du dir wohl so gedacht, du feiger Hund! Glaubst wohl, wenn du in der Überzahl bist, kannst du uns herumkommandieren, wie es dir beliebt. Seht mal, was ich hier habe.«
Ein entsetztes Raunen im Heer der Slawen, aber auch ein stellenweises verächtliches Auflachen seitens der Eroberer setzte ein.
Ein langes Messer an die Kehle gesetzt, schob Ritter Udo ein Mädchen vor sich her, dessen Kleider in Fetzen vom Körper hingen. Gleich darauf folgten zwei gefangene Knaben, denen es ebenso erging. Die kleine mutige Schar um Paddies Vater hatte es also nicht mehr rechtzeitig geschafft, ihre Kinder zu befreien. Der Kampf um das Tor hatte sie zu lange aufgehalten. Voller Zorn und zur Tatenlosigkeit verurteilt mussten sie mit ansehen, wie ihre Liebsten aus einem der letzten noch verbliebenen Häuser herausgeführt wurden.
Nicht anders erging es dem Fürsten der Feisnecksiedler. Nur noch mit einem Messer bewaffnet, der linke Arm kraftlos am Körper baumelnd und mit einer auf der Schulter heftig blutenden Schnittwunde stellte Milosc sich seinem verhassten Gegner in den Weg. Endlich hatte er ihn erreicht und durfte nun doch nichts mehr tun. Seine Hand hob und senkte sich zitternd und seine Lider flatterten, als er seinem Feind Auge in Auge gegenüberstand.
»Du, du, feiger Dämon! Swarozyc möge dich für alle Zeiten verfluchen!«
»Was willst du von mir, du kleiner Bastard? Geh mir aus dem Weg!«
Udo lachte laut auf und abermals hob sich Milosc Hand mit dem scharfen Messer.
Wie aus dem Nichts stand plötzlich Rapak an der Seite seines Fürsten und legte ihm sanft seine Hand auf den erhobenen Arm. Anfangs behutsam, dann aber mit ständig steigender Kraft suchte er Milosc Arm nach unten zu drücken.
»Lasst es sein, mein Fürst, er wird Kosi töten, ohne mit der Wimper zu zucken. Bitte, versündigt Euch nicht gegen das Mädchen.«
Rapak sah seinem Fürsten fest in die Augen und spürte, wie dessen Arm vor hilflosem Zorn bebte. Es dauerte auch eine kleine Ewigkeit, dann endlich erzielten seine flehenden Blicke ihre erste Wirkung. Milosc Arm gab dem Druck langsam nach und auch das Flattern seiner Lider legte sich langsam.
»Es ist gut, mein tapferer junger Rapak«, presste er zwischen den Lippen hervor, trat zwei Schritte zurück und gab den Weg frei.
Knapp fünf Schritte vor dem Reiter blieb Udo stehen und presste sein Messer drohend an Kosis Hals, als er die angespannte Haltung seines Feindes erkannte. Ein einzelner Blutstropfen rann aus der aufgeritzten Haut und
Weitere Kostenlose Bücher