Die Ehre der Slawen
eine himmelhoch lodernde Fackel die Insel und machte die hereinbrechende Nacht zum Tage. Ein vielstimmiger Jubel brandete auf und hallte weit über den See. Das alte Jahr verging und das neue Jahr konnte kommen.
Paddie und Rapak ließen sich schnaufend und prustend zu Boden gleiten und lehnten ihre Rücken an die steil ansteigenden Holzplanken des Burgwalls. Der übermäßige Alkoholgenuss forderte nun endlich auch bei ihnen seinen Tribut. Mit glitzernden Augen sahen sie in das riesige Feuer und freuten sich. Paddie, weil er bald mit Kosi zusammentraf, und Rapak, weil das Leben einfach schön war. Noch bevor die Strohpuppe jedoch komplett niedergebrannt war, schwebten auch sie bereits im Reich der Träume.
Sie bekamen nicht mehr mit, welch große Aufregung gleich darauf auf der Insel herrschen sollte. Ihre Augen konnten nicht mehr das erbärmliche Häufchen jener Slawenkrieger erblicken, das von zerschundenen Pferden mühsam über die Brücke geschleppt wurde.
Paddies Bruder Witka, im Gefolge die letzten seiner Kampfgefährten, war heimgekehrt. Heimgekehrt aus einer verlorenen Schlacht: eine Handvoll Überlebender, ein knappes Dutzend von eintausend. Sie gehörten zu jenem kümmerlichen Rest, der im vergangenen Jahr voller Stolz und Euphorie aufgebrochen war. Sie waren ein Teil der Wenigen, die dem fürchterlichen Gemetzel im fernen Calabrien entkommen waren.
*
Kapitel 28
Seit zwei Tagen und drei Nächten kämpften der Krieve und einige heilkundige Frauen um das Leben der heimgekehrten Stammessöhne. Mehr liegend als sitzend hatten sie sich auf den Rücken ihrer Pferde gehalten, als sie am Abend des Jutrofestes ankamen. Viele Monde waren sie unterwegs gewesen, geschwächt von Fieber und Entbehrungen. Die meisten ihrer unzähligen Wunden waren vernarbt, aber einige besonders tiefe Verletzungen waren immer wieder aufgebrochen, hatten genässt und geeitert. Nicht wenige der Gefährten waren unterwegs gestorben. Alles in allem hatten die Heimkehrer unglaubliche Strapazen überstanden, wenn man die riesigen Entfernungen in Betracht zog.
Um die völlig entkräfteten und schwer angeschlagenen Männer besser versorgen zu können, hatte sie der Krieve kurzerhand im großen Versammlungshaus auf der Insel untergebracht. Und da lagen sie nun, auf provisorischen Lagerstätten gebettet: elf Männer, allesamt mehr tot als lebendig. Auch wenn nicht alle zum Stamme der Moriczer gehörten, so machte dies doch keinen Unterschied. Sie sprachen dieselbe Sprache, pflegten die gleichen Bräuche und auch die meisten ihrer Götter waren identisch. Sie gehörten alle demselben Volke an.
Ein aromatischer Geruch nach getrockneten Kräutern, aber auch ein widerlicher Gestank nach eitrigen Wunden und fiebrigem Schweiß lag in der Luft, als Paddie leise das große Holzhaus betrat. Seine Mutter und die kleine Schwester Dusa standen am Kopfende seines großen Bruders und reinigten ihm mit feuchten Tüchern das Gesicht.
Witka war bei Bewusstsein und hob zur Begrüßung die Hand.
»Ich grüße dich, kleiner Bruder«, sagte er leise und winkte Paddie etwas näher zu sich heran.
Etwas zögerlich befolgte der Angesprochene die Aufforderung und stellte sich neben seine kleine Schwester. Paddie erkannte sein großes Vorbild kaum wieder, so sehr hatte Witka sich verändert. Seine Wangen waren eingefallen und von harten Bartstoppeln bedeckt. In den Augen spiegelte sich, trotz des freundlichen Lächelns, eine derartige Unbeugsamkeit und Härte wider, dass es Paddie eiskalt über den Rücken lief. Witkas Hände waren knochig und sehnig geworden und überhaupt, sein Bruder schien um Jahre gealtert zu sein. Das war nicht mehr der gutmütige, wenn auch eigenwillige Witka, den er kannte. Derjenige, der da vor ihm lag, war jemand, der dem Tode schon mehr als einmal von Angesicht zu Angesicht gegenübergestanden hatte.
»Die Götter mögen dir beistehen«, erwiderte Paddie den Gruß und neigte kurz sein Haupt.
Witka begann mit der linken Hand in einem Lederbeutel zu kramen, der dicht neben seinem Lager lag.
»Ich habe dir auch etwas mitgebracht, von ganz weit her.«
Fragend sah Paddie zu seiner Mutter hinüber, die ihn freundlich anlächelte und leicht mit dem Kopf nickte. Dann hatte Witka gefunden, wonach er suchte, und hielt Paddie die ausgestreckte Faust entgegen.
»Da, nimm, ist für dich.«
Bevor Paddie überhaupt wusste, womit er sich das verdient hatte, fiel eine große blanke Münze in seine
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