Die Ehre der Slawen
Withasen, herum. Auf Schritt auf Tritt überhäufte er sie mit neugierigen und vor allem unnützen Fragen. Aber wenn es nur dies allein wäre, so wollte Kunigunde schon zufrieden sein. Thietmar hörte sich nämlich für sein Leben gerne, in aller Heimlichkeit natürlich, die Geschichten von heidnischen Götzen und deren ruchlose Taten an. Zwar stritt er dies immer ab, da seine Mutter dieses frevelhafte Tun unter Strafe gestellt hatte, aber irgendwie wusste sie es doch besser. Und nun wollte ihr leiblicher, unerfahrener Sohn gar selbst zu den Wenden, um noch mehr dieser abscheulichen Schauergeschichten zu hören.
»Mein lieber Thietmar«, versuchte sie ihn erneut von seinem Wunsch abzubringen, »weißt du überhaupt, wie gefährlich es für unsereins im Lande der Wenden ist? Die Wenden sind ein Volk von Heiden und Barbaren. Sie opfern ihren Götzen das Blut von unschuldigen Tieren, und wenn es besonders schlimm kommt, sogar das Blut von Menschen. Sie flehen nicht unseren lieben Herrgott um Beistand und Vergebung an, sie lassen ihre Seelen nicht durch das heilige Taufwasser weihen und unsere christlichen Gesetze achten sie schon gar nicht. Ganz das Gegenteil ist der Fall! Unsere gut gemeinten Bekehrungsversuche bekämpfen sie schon seit vielen, vielen Jahren mit allem, was sie haben. Sie widersetzen sich der frommen Kirche mit furchtbaren Äxten und kraftvoll geworfenen Geren. Vielen unserer Glaubensboten wurden die Köpfe abgeschnitten und eine große Zahl edelster Ritter mussten ihr Leben lassen. Bereits dein frommer Urgroßvater Liuthar versuchte einst das Barbarenvolk zu bekehren. Du solltest es dir sorgsam merken, dass dein frommer Ahne im Jahre 955, in der Schlacht an der Lenzer Reka, sein Leben verlor.«
»Ja, meine liebe Mutter, das alles weiß ich doch schon längst«, winkte Thietmar neunmalklug ab und stemmte seine kleinen Fäuste herausfordernd in die Hüften.
»Außerdem ist diese Geschichte schon ganz, ganz lange her. Und jetzt haben wir ja wohl Frieden mit den Wenden und kämpfen nicht mehr gegeneinander, oder?«
Als Thietmar die ablehnende Haltung seiner Mutter spürte, verlegte er sich schnell wieder aufs Betteln. Er ließ sich vor ihr auf die Knie nieder, legte seine Arme auf ihren Schoß und blickte ihr treuherzig in die Augen.
»Und ich will ja auch gar nicht allein reisen. Ich möchte doch nur im Gefolge der tapferen Ritter des Markgrafen mitfahren. Weißt du denn nicht, dass seine Männer ganz stark und mutig sind? Sie werden mich wohl zu schützen wissen. Du wirst schon sehen, es kann mir überhaupt nichts passieren. Außerdem will ich ja auch noch meinen alten Starislav mitnehmen. Der kennt sich nämlich da gut aus, weißt du? Weil er da ja geboren wurde. Und mein Lehrer, der fromme Bruder Oddar, der kann ja auch mitkommen und mich weiterhin in Latein unterrichten. Ich weiß sogar schon einige Sätze in Latein auswendig.«
»So?«
»Ja, pass mal auf: In Dominus Padrus, Kaktus In Spiritus …«
»Mein lieber Thietmar«, schmunzelte seine Mutter, »lass das bloß nicht den armen Oddar hören!«
»Wieso? Habe ich etwas Falsches gesagt?«
»Das will ich wohl meinen! Wenn du dein Latein nur einmal so beherrschen würdest wie die Sprache der Heiden, dann will ich der Kirche einen ganzen Sack voller Kerzen spenden.«
Kunigunde schob die Arme ihres Knaben vom Schoß und erhob sich. Sie musste Zeit zum Nachdenken gewinnen. Wie konnte sie ihrem Spross nur diese verrückte Idee ausreden? Mit geübten Handbewegungen ordnete sie den Faltenwurf ihrer dunkelgrünen Tunika neu und zog die reich verzierten Säume glatt. Anschließend legte sie sich eine blütenweiße, seidene Stola auf das Haupt, fingerte aus der Gürteltasche zwei silberne Spangen hervor und klammerte damit das feine Tuch zusammen. Schließlich ging sie noch in die Hocke und band die Schnüre ihrer Stiefel neu.
Ungeduldig trat Thietmar von einem Bein aufs andere, während seine Mutter umständlich Garderobe machte. Bloß nicht stören , rief er sich innerlich zur Ruhe, sonst wird sie wieder nur ungehalten und ich darf doch nicht mitreisen.
Endlich richtete sich Kunigunde wieder auf und sah ihrem Spross fest in die Augen. »Ich glaube gar, die armen Ritter des Markgrafen werden vor Freude in die Hände klatschen, wenn so ein kleiner Naseweis wie du an ihren Rockzipfeln klammert.«
Gleich darauf wandte sie sich entrüstet an ihren Schwager, der mit großem Interesse ein Kruzifix an der Wand begutachtete:
Weitere Kostenlose Bücher