Die Ehre der Slawen
verjagt wurden. Wenn es aber gar zur arg kam und die frommen Brüder standhaft ihren Glauben vertraten, dann wurden sie sogar manchmal von den Heiden getötet. Thietmar hörte sich diese Geschichten zwar an, wollte aber nicht so recht daran glauben. Immer hatte er das Bild seines friedlichen, guten alten Stari vor Augen, der keiner Fliege etwas zuleide tun konnte.
Außer mit diesem eitlen Udo kam Thietmar mit allen Leuten des Zuges gut zurecht. Sogar Udos Waffengefährten, die anderen Ritter aus dem Sachsenlande, und dessen Waffenknechte machten hin und wieder einen kleinen Scherz mit ihm oder winkten im Vorbeireiten einfach freundlich mit der Hand herüber. Udo niemals! Der konnte nur grimmig dreinschauen und verächtlich ausspucken.
Sobald sie aber in die Nähe eines wendischen Dorfes gelangten, änderte sich plötzlich schlagartig das Verhalten der Soldaten. Ihre Gesichtszüge wurden hart und gierig, ihre Muskeln spannten sich unter den Waffenröcken, ihr ganzes Gebaren wurde hektischer, die Befehle lauter. Warum? Das hatte der kleine Junge noch nicht erraten. Er musste ja immer im Wagen hocken und warten. Also war er über alle Maßen enttäuscht und langweilte sich.
»… also steht geschrieben: Wer entkommt, der werde von der Glut deines Zornes verzehrt, die Peiniger deines Volkes sollen zugrunde gehen. Bringt das Haupt des Fürsten Moabs zum Schweigen, das sagt: Es gibt keinen außer mir …«
Bruder Oddar hob beschwörend die Arme und gestikulierte so leidenschaftlich, als ob es in diesem Moment galt, sämtliche Heiden dieser Welt mit einem Schlage zu bekehren - oder zu vernichten. Dies war eine alleinige Frage der Auslegung der heiligen Schriften. Der Glaubensverkünder ereiferte sich derart in seiner Predigt, dass Thietmar für einen kurzen Moment regelrecht erschauerte. Gleich darauf entglitten die Gedanken des kleinen Jungen jedoch wieder in weite Fernen.
Heute dauerte das Eintreiben der Tribute länger als üblich. Unruhig geworden, versuchte Thietmar den Stand der Sonne abzuschätzen, was durch die dichten Baumkronen alles andere als einfach war.
Vielleicht liegt ja ein besonders großes Dorf vor uns und das Ermitteln der fälligen Steuern ist nicht so einfach , überlegte der Knabe, oder aber die Wenden sind so über unseren Besuch erfreut, dass sie zu Ehren unserer tapferen Ritter ein würdiges Fest anrichten. Und ich darf wieder nicht dabei sein.
Resignierend seufzte Thietmar vernehmlich, ließ seine schmächtigen Schultern hängen und blickte mit traurigen Augen in Richtung seines Lehrers.
Bruder Oddar missverstand diese Geste jedoch völlig und wandte sich verständnisvoll an seinen Schüler: »Nun gut, mein Sohn, ich will den Unterricht für heute beenden. Wie ich hocherfreut feststellen konnte, hattest du meinen Worten inbrünstig gelauscht. Sicher willst du nun in dich kehren, um die Empfindung unseres Herren zu spüren. Gerne will ich dir die Zeit gewähren, damit du in tiefer Demut das Heil deiner Seele findest. Nach dem Abendmahl will ich dich aufsuchen, damit wir im gemeinsamen Gebet unseren Heiland für diesen wunderschönen Tag lobpreisen können.«
Erneut drang ein tiefes Seufzen aus Thietmar, was Oddar mit einem frohen Einverständnis gleichsetzte. Er drehte sich um und gesellte sich zu seinen Glaubensbrüdern, die etwas abseits standen und erregt diskutierten. Worüber, das konnte der Knabe nicht verstehen.
Fast schien es Thietmar, als ob plötzlich ein leichter Brandgeruch in der Luft läge. Als er schnuppernd seine Nase hob, hatte sich diese Empfindung allerdings schon wieder verflüchtigt.
Anhand der Sonnenstrahlen, die hier und dort im tiefen Winkel durch das Laub schienen, schätzte der gelangweilte Junge, dass es schon später Nachmittag sein musste. Nicht mehr lange und die Knechte mussten das Nachtlager aufbauen.
Warum nur brauchten die Soldaten heute so lange?
Schwere Hufe donnerten plötzlich im gestreckten Galopp durch den Hohlweg heran. An der Spitze des Zuges entstand Unruhe. Die zurückgelassenen Krieger rannten hektisch durcheinander und brüllten sich gegenseitig Befehle zu. Von der Neugierde gepackt sprang Thietmar trotz des Verbotes nun doch vom Wagen herunter und begann nach vorn zu schleichen. Mit hochgerafften Kutten hasteten die Mönche an ihm vorbei. Niemand schenkte dem kleinen Jungen im plötzlichen Durcheinander noch irgendeine Beachtung, sodass er ungehindert von Wagen zu Wagen schleichen konnte, bis er die vorderste Reihe
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