Die Ehre der Slawen
dahingemetzelt! Und dies nur, weil er auf das Wort eines deutschen Edelmannes vertraute, so wie alle anderen seiner Gefährten auch. Die Geschichte ist so grauenvoll und so gemein, dass ich mir vornahm, sie für immer aus meinem Gedächtnis zu streichen. Allein die Götter wollen, dass diese Untat niemals in Vergessenheit gerät.«
Tief seufzend überlegte sich der Vater die nächsten Worte, währenddessen sich Paddie vor Entsetzen eine Hand auf den Mund presste. Mord, dies war die schlimmste Schandtat, die sich ein Slawe überhaupt vorstellen konnte. Im Kampfe fallen, das war ehrenhaft, wenn es um eine gerechte Sache ging. Aber einen feigen Mord begehen? Allein schon der Gedanke jagte Paddie einen Schauer über den Rücken.
Endlich schien der Vater die richtigen Worte gefunden zu haben und begann, nach einem tiefen Seufzer, seine aufregende Geschichte:
»Vor 27 Sommern, also im Jahre 955, nach der Zeitrechnung der Christen, brach ein schlimmes Jahr für unser stolzes Volk an. Deutsche Fürsten und Ritter aus dem Sachsenlande plünderten unsere Dörfer, sodass mancherorts eine gar schlimme Hungersnot bevorstand. Ihre unbarmherzigen Blutknechte verschleppten unsere Mädchen und Knaben, um sie als Unfreie in ihrem eigenen Lande zu verkaufen. Ja, sie schreckten nicht vor Morden, Brandschatzen und anderen Gräueltaten zurück, sobald sich ihnen jemand in den Weg stellte. Viele unserer Fürsten und Priester blendeten sie mit glühendem Eisen, schnitten ihnen die Zungen heraus und setzten sie, blind und stumm, wie sie waren, mitten im tiefsten Walde aus. Nur dem Schicksal der Götter war es zu verdanken, dass einige von ihnen noch rechtzeitig wiedergefunden wurden.
Die Christenpriester, denen wir großzügig einiges Land für ihre Gottestempel überlassen hatten, begannen in einem unvorstellbaren Maße unsere heiligen Götter und Haine zu spotten und zerstörten sie. All unsere alten, heiligen Orte wurden geschändet und entweiht, sodass wir dieses undankbare Pack letztendlich verjagen mussten. Ihre verkündeten Worte waren die von hinterhältigen Schlangen. All ihre Gebete und Prophezeiungen waren angefüllt mit Falschheiten und Lügen. Sie predigten von der Nächstenliebe, von Barmherzigkeit und der Großmut ihres Christ Jesus und erhoben diesen über all unsere alten Götter. Sie predigten von Todsünden und Geboten, sagten uns aber nicht, dass diese Gesetze nicht für sie selbst galten. Uns gegenüber, da brachen sie ihre eigenen Worte und Gesetze, wo sie nur konnten.«
Witka hob langsam seinen Blick und lockerte seine Haltung etwas. Natürlich hatte er längst von den Gräueltaten der Deutschen gehört, sie aber immer für übertrieben gehalten. Dass sich sein Vater nun so leidenschaftlich darüber äußerte, das erlebte er zum ersten Male. Seine Aufmerksamkeit wuchs, denn noch niemals zuvor hatte er seinen Vater die Unwahrheit sprechen hören.
»So kam es dann schließlich, dass sich unsere stolzen Hauptstämme, die Wilzen als auch die Obodriten, wie eine geballte Faust vereinten. All die kleinen Streitigkeiten zwischen unseren Vätern waren vergeben und beigelegt. Unsere mächtigsten Priester traten zusammen und sahen einhellig die gleichen göttlichen Vorzeichen, jene, die einen großen Krieg ankündigten. Sie warfen ihre Orakelstäbchen, sie führten heilige Schimmel über gekreuzte Lanzen und sie lasen in den Gedär men von geopferten Schafen, dass unsere Götter nach Rache verlangten .
Auch nahe des heiligen Tempels Rethra entstieg ein großer, schwarzer Eber dem düsteren See und stürmte mit schäumendem Maul den Pfad zur Vorburg hinauf. Alle diese göttlichen Zeichen hatten nur eine einzige Bedeutung: Wie ein einziger Mann sollte sich unser ruhmreiches Volk gegen das verübte Unrecht erheben.«
Dankbar nahm der Vater einen von der Mutter gereichten Becher warmer, mit Honig gesüßter Milch entgegen und stürzte ihn in einem Zuge durch seine trockene Kehle.
»So, wie es jetzt dein Wille ist, mein stolzer Sohn, so brach auch damals mein Vater mit zwanzig der tapfersten Männer unseres Dorfes auf, um in einem gerechten Kampf für Ruhm und Ehre zu streiten. Die Brüder Nacco und Stoignev, zwei der mächtigsten Fürsten unseres Landes, wurden einstimmig zu den Anführern unserer Streitmacht gewählt. Diese beiden edlen Slawensöhne sollten unser Volk zu einem ruhmreichen Sieg führen.«
Paddie wagte sich auf seinem erhöhten Beobachtungsplatz kaum zu rühren. Seine Ohren und Wangen
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