Die Ehre der Slawen
wünsche mir nichts sehnlicher, als dass du recht behalten sollst. Gib gut auf dich Acht und komme gesund wieder. Nach unserem, diesem letzten gemeinsamen Frühstück, gehe in Frieden zu Sylnic von Pacelin, damit er dich als treuen Gefährten in seinen Reihen aufnimmt. Stephan soll inzwischen unser bestes Pferd für dich satteln, damit du dich deiner nicht zu schämen brauchst.«
»Danke, Vater!«
»Schon gut, schon gut«, brummte der Kmete und schlurfte mit hängenden Schultern zu seinem Platz zurück. Mutter hingegen wischte sich endgültig die Augen trocken und lächelte stolz.
Als der Vater sich schwer auf die Bank fallen ließ, rief er über seine Schulter nach oben: »Paddie, komm runter, die Suppe wird kalt. Und außerdem, für dich habe ich heute sowieso noch eine besondere Aufgabe.«
*
Kapitel 9
Lange Zeit konnte Thietmar nicht einschlafen. Zu viele ungeheuerliche Erkenntnisse waren am vergangenen Nachmittag auf ihn eingestürmt: das Blut an Udos Schwert, die toten und verwundeten Soldaten, der furchtbare Kampfbericht! Nicht in seinen schlimmsten Albträumen hätte sich der Knabe ausgemalt, dass die Wirklichkeit so grausam sein konnte. Schon längst hatte er seine Neugierde bereut und kämpfte nun mit der herben Enttäuschung, die diese Reise ihm bisher beschert hatte. In der Luft schwebte immer noch dieser eigenartige Brandgeruch, der rein gar nichts mit einem gemütlichen Lagerfeuer gemein hatte.
Auch der gute alte Starislav hatte noch keinen Versuch unternommen, seinen kleinen Herrn mit einer Geschichte zu trösten. Seitdem ihr Anführer zurückgekehrt war, drang kein einziges Wort mehr über seine Lippen. Stumm und niedergeschlagen saß er draußen vor dem Planwagen, hatte sich an ein Wagenrad gelehnt und seine zitternden Hände in den Schoß gelegt. Jedes Mal, wenn das laute Gegröle von Udos Siegesfeier bis zu ihnen in die hinterste Reihe drang, zuckte er leicht zusammen. Eine einsame Träne rann über seine eingefallene Wange und benetzte die trockene Haut.
Thietmars Gedanken wechselten zu einem anderen Thema: Morgen sollte es in östlicher Richtung weitergehen. Udo wollte die zwei kleinen Wendendörfer Eichenwald 11 und Krummer Baum 12 aufsuchen, weil er dort keinen nennenswerten Widerstand erwartete. Die großen Burganlagen rings um Pacelin 13 , die nicht einmal eine Tagesreise entfernt waren, wollte er einfach westlich umgehen. Auf Thietmars Frage nach dem Warum hatte Oddar nur gemurmelt: »Die sind ihm wohl zu wehrhaft.«
Und übermorgen, ja, da erreichten sie die ersten Siedlungen am Kleinen Meer. So hatte es ihm jedenfalls Bruder Oddar nach dem Abendgebet erzählt.
Ein winziger Hoffnungsschimmer erschien in Thietmars Gedanken, der letzte, den er noch hatte. Ein Seitenarm der Morcze, nämlich derjenige, den sie zuerst erreichen würden, war die Feisneck. Und inmitten der Feisneck lag jene Insel, die einst aus dem Sandberg erschaffen wurde, den das Riesenmädchen in ihrer Schürze trug.
Egal was passiert, diese Insel wollte und musste Thietmar sehen. Stari würde sie ihm zeigen, ob es diesem dummen Ritter Udo nun recht war oder nicht!
Der kleine Junge kroch an das Ende des Planwagens, schlug das Verdeck zur Seite und wandte seinen Blick gen Himmel. Durch die nachtschwarzen Kronen der Bäume funkelte der Nordstern, und Thietmar begann mit offenen Augen zu träumen. Wie schön und ästhetisch der liebe Gott die Welt doch erschaffen hatte. Die Erde, die im Mittelpunkt der Welt stand, mit allen ihren kleinen und großen Wundern, der Mensch als Krone der Schöpfung und von Gottes Atem beseelt; und nicht zuletzt die funkelnden Sterne, die nach Gottes Willen ihre schwer zu ergründenden Bahnen zogen. Wie schön könnte es auf dieser Welt doch sein, wenn sich alle Lebewesen nach Gottes Geboten richteten. Warum nur sträubten sich diese Wenden und alle anderen heidnischen Völker gegen die Milde und Barmherzigkeit des himmlischen Vaters? Warum wollten sie das herrliche Evangelium nicht annehmen? Warum beteten sie lieber ihre Götzen an? Merkten sie denn nicht, dass sie damit nur den Satan stärkten? Der Satan mit all seinen höllischen Kreaturen! Der wollte doch nichts anderes als Gottes Werk zerstören und die Seelen der Menschen rauben. Er war es doch, der den Krieg und die Gewalt schürte und dafür sorgte, dass unbescholtene Bürger im Zorn aufeinander losgingen, um sich die Köpfe einzuschlagen. Ob der Leibhaftige auch heute seine Finger im
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