Die Ehre der Slawen
Augenblicklich herrschte ein unbeschreibliches Chaos im Lager, das durch den Überraschungsangriff ausgelöst worden war.
Dann zeigte sich jedoch die jahrelange Kampferfahrung von Udos Streitmacht. Nachdem die ersten Schrecksekunden überwunden waren, wusste jeder, was er zu tun hatte. In Windeseile wurden die eisernen Helme übergestülpt, Schwerter und Schilder flogen wie von selbst in die Hände. Die schweren Weinkrüge und gerösteten Bratenstücke fielen achtlos zu Boden. Wie weggeblasen war der fröhliche Weinrausch. Jedermann wusste, dass es jetzt nur noch auf die Schnelligkeit der Wiederherstellung seiner Verteidigungskraft ankam, wenn er überleben wollte. Noch bevor die auf Vergeltung sinnenden Slawen aus dem Wald brachen, standen die ersten Gruppen mit hoch erhobenen Schilden vor ihren Anführern.
Beim edlen Udo dauerte es allerdings eine kleine Weile, bis er seinen Rausch abzuschütteln vermochte. Auf einen kurzen Wink hin schüttete ihm einer der Knechte einen Bottich eiskalten Wassers über den Kopf. Gleich darauf sank der Unfreie jedoch wimmernd zu Boden. Ein langer Pfeil hatte seine Wade durchschlagen und ragte fünf Zoll weit auf der anderen Seite wieder heraus.
»Halbkreise bilden, die Schilde erhoben!«, brüllte Udo seinen ersten Befehl hinaus.
Augenblicklich kam Ordnung in die Reihen der Verteidiger. Ein nächster Pfeilhagel der Angreifer zersplitterte wirkungslos an den großen Kampfschilden und richtete keinen nennenswerten Schaden mehr an. Die Verwundeten schleppten sich indessen mühsam zu den Fuhrwerken und suchten hinter ihnen Deckung zu finden.
Abermals röhrten die Hörner der Angreifer und leiteten nun die zweite Phase des Überfalls ein. Wie ein einziges ungestümes Wesen stürmten an die hundert bewaffnete Bauernkrieger gleichzeitig aus dem Wald hervor und warfen sich todesmutig auf die fremden Soldaten. Mit Äxten, Spießen und Heugabeln, einige auch nur mit großen Holzknüppeln bewaffnet, versuchten die zornigen Slawen das verhasste Heer zu bezwingen. Ob mit einem einfachen Leinenhemd bekleidet oder durch einen ledernen Brustharnisch geschützt, jeder versuchte zuerst die vorderste Front der erhobenen Schilde zu erreichen. Alle Angreifer waren nur von einem einzigen Gedanken beseelt, einem Gedanken, der gleichzeitig stark und blind machte: Rache! Dieser Gedanke verlieh den einfachen Menschen fast übermenschliche Kräfte und sollte die erfahrenen Grausamkeiten und Demütigungen vergelten. Rache für den getöteten Bruder, Rache für die geschändete Schwester und nicht zuletzt auch Rache für die zerstörten Heimstätten. Ohne Rücksicht auf den eigenen Leib und das eigene Wohl stürzten sich die Angreifer in den zahlenmäßig ungleichen Kampf. Ob jung oder alt, ob Töpfer oder Schmied - das brennende Slawendorf hatte alle Einwohner im Umkreis eines halben Tagesmarsches geeint.
Mancher Slawe rannte einfach mit der bloßen Schulter gegen einen Schild an, um den Träger zum Sturz zu bringen. Ein anderer versuchte mit fest umklammerter Saufeder die Verteidigungslinie aufzubrechen. Wieder ein anderer hieb blindlings mit einem großen Hammer auf die erhobenen Schilde ein und brachte ihre Träger aus dem Gleichgewicht. Die überraschende Wucht des Angriffs bedrängte die Reihen der Verteidiger derart, dass sie langsam zurückweichen mussten. Fast wäre es den Slawen auch gelungen, die verhassten Eindringlinge gleich im ersten Sturm zu überrennen. Aber die jahrelange Kampferfahrung der gepanzerten Soldaten, als auch ihre überwältigende Übermacht, gewannen schließlich die Oberhand. Immer wenn es den Angreifern gelungen war, den Schilderwall an einer Stelle aufzubrechen, wurde er von einem anderen Krieger sofort wieder geschlossen.
Als der erste große Ansturm erfolgreich abgewehrt war, gingen nun ihrerseits die Ritter mit ihrem Gefolge zum Angriff über. In kleinen Gruppen, sechs bis acht Mann stark, sich gegenseitig mit den Schilden die Flanken deckend, schritten sie mit erhobenen Schwertern den Angreifern entgegen.
Dieser kampferprobten Taktik hatten die einfachen Bauern nichts entgegenzusetzen. Sie kämpften zwar tapfer und unerschrocken, aber jeder einzeln und für sich. Die rasenden Schwerter der Ritter begannen unerbittlich die Reihen der Angreifer zu lichten. Ein grausames Gemetzel entsprang zwischen den Lagerfeuern und zog sich nach und nach über die gesamte Länge des Trosses. Über den Waldboden floss das Blut der Gefallenen und Verstümmelten. Unweit
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